Unweit von Bellinzona entstand vor vier Jahren eine Lachszucht. «Swiss Alpine Fish» ist ungemein erfolgreich, da man bis ins Detail ein Geschäftsmodell ausdachte, das perfekt auf die Schweizer Kunden zugeschnitten ist. Einen Haken in der Geschichte zu suchen, ist schwer.
Wo ist der Haken? Kann es sein, dass in Lostallo 320'000 Lachse pro Jahr gezüchtet werden und alles mit rechten Dingen zu und her geht? Lachszucht heisst doch Parasiten, Antibiotika, ein Kloakenberg – am Ende einen fettigen Fisch auf dem Teller: das Schwein der Meere eben, der klassische Karfreitagsfisch von nächster Woche.
Doch in Lostallo heissen diese «rechten Dinge»: lokale, umweltfreundliche, antibiotikafreie, stressfreie, parasitenfreie Produktion. Und dann ist da auch noch die ressourcenschonende und nachhaltige Kreislaufanlagentechnologie, die 98 Prozent des Grundwassers aufbereitet.
Kaum die Anlage staunend angeschaut, schieben wir einen Happen rohen Lachs in den Mund und schnalzen mit der Zunge: Da ist ein wunderbarer Biss, da der keimfreie Lachs nicht schockgefroren werden muss. Und da ist auch wenig Fett zu spüren. Zu Hause ist selbst der leichte Geruch nach Fischfutter verschwunden.
Ein kleines Wunder?
Wenn man Verkaufsdirektor Ronald Herculeijns über die Anfänge vor zehn Jahren reden hört, glaubt man tatsächlich, dass er und sein damaliger Projektpartner einmal zu oft «Lachsfischen in Jemen» geschaut habe, jenen Feel-Good-Movie, in dem ein Scheich in der Wüste Lachse grosszieht. Doch bei «Swiss Alpine Fish» sind nicht Glückssucher wie im Film, sondern berechnende Richtigmacher am Werk.
Einst träumte man davon, die Lachse hoch oben im Juliergebiet zu züchten. Davon geblieben ist allerdings noch der Untertitel ihrer Produktbezeichnung, steht da doch immer noch «Pure Alpine Salmon» auf dem Etikett. Wer nun aber meint, dass in Lostallo Bergbäche rauschen und sich Gams und Lachs gute Nacht sagen, irrt.
Von Bellinzona geht es die Autobahn 20 Kilometer Richtung Norden, und schon steht zur Rechten auf 426 Meter über Meer die Lachszucht. Nach einer Ausfahrtkurve kann die A13 leicht vergessen gehen, steht der Geniesser nun doch im Verkaufsladen neben der Zuchtanlage vor einer famosen Auslage. Kein Wunder, machte der Shop eine Million Franken Umsatz.
Doch aufgepasst: In Lostallo wird ein Luxusprodukt hergestellt. Ein ausgenommener Fisch mit Kopf und Schwanz kostet 36 Franken pro Kilo, ein Filet 62 Franken, die sogenannte «Sashimi-Qualität», die roh gegessen werden kann, gar 78 Franken.
Als Herkuleijns merkte, wie gross die Wertsteigerung durch das Räuchern wird, baute man flugs eine Räucherei ein. Ein Vorteil, kann der Lachs doch frisch verarbeitet werden – und die Wertvermehrung findet im Haus statt.
Mit Ausnahme der weltberühmten Ostschweizer Lachsveredler «Balik» beliefert man keine Räuchereien mehr. Dort in Ebersol aber macht der Lachs eine grandiose Wertvermehrung durch, kostet der als «Swiss Lachs» gelabelte Fisch doch 450 Franken das Kilo. Nicht ohne Schalmeien wird er angepriesen: «Der Lachs wird in einem schönen und unberührten Fleck im bündnerischen Misox, namentlich in Lostallo, gezüchtet», heisst es auf der Website. Und anstatt von Grundwasser wird von Bergwasser geplaudert.
Für «Swiss Alpine Fish» ist es ein Ritterschlag, dass «Balik» die Fische aus Lostallo will. Im Vergleich zu «Balik» ist der eigene Räucherfisch ein Schnäppchen: Geräuchert und geschnitten kostet er 130 Franken pro Kilo. Doch da ist auch kindersicheres Produkt mit Bodenhaftung. Gefrorene Lachs-Knusperli gibt es aus Resten oder aber aus Lachsen, die geschlechtsreif geworden sind und somit weisses Bauchfleisch haben. Das will der Konsument nicht. Diese Geschlechtsreife versucht man in der Anlage, mit Kunstlicht hinauszuzögern und simuliert einen ewigen nordischen Sommer. Dieses Dauerlicht ist immerhin ein Haken in der Geschichte.
Und noch einen meinen wir zu finden beziehungsweise zu riechen: Es stinkt in den computerüberwachten Hightech-Aufzuchthallen leicht, aber penetrant nach Fischfutter. Doch die Bio-Lachsnahrung aus Frankreich wurde in Wädenswil getestet.
Die Robustheit der Schweizer Lachse hat seine Gründe, entwarf man doch eine Anlage, die den Lebensweg des Lachses so gut wie möglich nachzeichnet: den Gang via Brackwasser vom Süss- ins Salzwasser. Kernstück ist ein sechs Meter hohes Rundbecken, wo die Lachse pausenlos gegen den Strom schwimmen. Wer mal etwas ausruhen will, taucht ab.
Alle zwei Monate kommen im Flughafen Kloten 40000 viren- und parasitenfreie Lachseier an. Aus dem Ei wird nach einem Jahr ein 15 Zentimeter langer Fisch. Danach geht es rasant: Innerhalb eines Jahres wird der Lachs vier bis fünf Kilo schwer. 1,1 Kilo Futter machen einen Fisch um 1 Kilo schwerer. Eine Tonne wird pro Tag verfuttert.
Im Schlachtraum strahlt Herculeijns, man merkt ihm an, dass er nach dem Verkauf von Schokolade, Tabak, Champagner und Cognac ein Produkt in der Hand hält, das Emotionen auslöst. Nur eines fuchst die Macher, hat man doch noch kein Biozertifikat.
Der Grund ist banal, gibt es hierzulande doch noch keine Biostandards für Indoor-Kreislaufanlagen. In Nordamerika hingegen gäbe es Indoor-Fischzuchten, die Lachse als «organic salmon» verkaufen können, erzählt Herculeijns achselzuckend. Er kann damit leben, die anderen Parameter machen seinen «Swiss Lachs» zum Gourmet- und Verkaufsschlager.
Dreimal so viel könnte Lostallo ausliefern. Schon hat man Pläne für eine zweite Zuchtanlage. Lachs ist der meistgegessene Fisch in der Schweiz. Mit einer jährlichen Kapazität von 600 Tonnen, deckt «Swiss Alpine Fish» knapp fünf Prozent des schweizerischen Konsums ab. Dank Sushi und neuerdings Lachs-Poké-Bowl-Boom reisst die Nachfrage nicht ab.
Der Lachs aus Lostallo ist bei Migros, Coop, Jemoli und Globus zu finden.