Vergessen
Die Frau, die immun gegen Alzheimer ist – Hoffnungen für neue Therapien

Die Hoffnungen auf ein Alzheimer-Medikament flammen wieder auf – auch dank der Schweiz. Amerikanischen Wissenschaftern ist ein anderer Forschungsdurchbruch gelungen, dank einer 70-jährigen Kolumbianerin.

Bruno Knellwolf
Drucken
95 Prozent der Dementen sind von Alzheimer betroffen, bei dem Nervenzellen in bestimmten Abschnitten des Gehirns absterben.

95 Prozent der Dementen sind von Alzheimer betroffen, bei dem Nervenzellen in bestimmten Abschnitten des Gehirns absterben.

Schweiz am Wochenende

Manchmal keimt Hoffnung auf, doch auch nach 30 Jahren Forschung ist noch kein wirksames Alzheimer-Medikament auf dem Markt. Jetzt meldet das Fachmagazin «Nature Medicine» zwar nicht die Ankunft eines neuen Medikaments, aber einen hoffnungsvollen Forschungsdurchbruch.

Grund dafür ist die Entdeckung einer Frau, die immun gegen Alzheimer ist. Forscher der Harvard Medical School haben einen 6000 köpfigen Familienclan in Kolumbien untersucht, bei dem Alzheimer weit verbreitet ist. Wegen der genetischen Veranlagung erkranken Mitglieder dieser Familie schon im Alter von 40 bis 50 Jahren und das seit mehreren Generationen. Einige bleiben länger verschont, aber alle Clan-Mitglieder sind genetisch betroffen.

Keine Demenz trotz Alzheimer-Gen

Die US-Forscher haben bei der Untersuchung von 1200 Familienangehörigen eine Ausnahme gefunden. Eine 70-Jährige ohne Anzeichen von Alzheimer. Sie trägt wie alle in der Familie die Gen-Mutation in sich, welche die Demenz auslöst. Aber zum Glück als einzige der Familie auch eine weitere Gen-Veränderung, die sie gegen den Ausbruch von Alzheimer schützt. Somit ist klar, dass es einen körpereigenen, vererbten Schutz gegen die Krankheit gibt. Die Forscher haben die schützende Gen-Veränderung identifiziert. Das könnte zu neuen Alzheimer-Therapien auf genetischer Basis führen.

Hirnvolumen schrumpft bis zu 20 Prozent

95 Prozent der Dementen sind von Alzheimer betroffen, bei dem Nervenzellen in bestimmten Abschnitten des Gehirns absterben. Die Forschung geht heute davon aus, dass die beiden Eiweissstoffe Beta-Amyloid und Tau für das Absterben verantwortlich sind. Diese Eiweissstoffe entstehen durch fehlgeleitete Abbauprozesse im Gehirn. Sie lagern sich dort als Plaque ab und führen zum Sterben der Nervenzellen. Das Hirnvolumen von Alzheimer-Patienten schrumpft um bis zu 20 Prozent.

CH Media

Die Hirnablagerungen Beta-Amyloid entdeckten Forscher bereits in den 1980er. In den 90er-Jahren bestätigte sich die Amyloid-Wirkung, durch den Nachweis dieser Ablagerungen auch bei vererbtem Alzheimer. Die Forscher konzentrierten sich in Folge auf die Amyloid-These. Zu stark und zu einseitig, wie einige Forscher monieren, andere Forschungszweige hätten zu wenig Unterstützung erhalten. Unumstritten ist allerdings, dass Amyloid mit Alzheimer zu tun hat. Hoffnungen machte Alzheimer-Patienten deshalb der Anti-Amyloid-Wirkstoff Aducanumab, den die in Schlieren ansässige Firma Neurimmune entwickelt hat. Der Wirkstoff liegt jetzt in der Verantwortung der Firma Biogen. Diese erklärte im März überraschend, doch keine Zulassung bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde zu beantragen. Vor kurzem folgte die Kehrtwende: eine Gesamtanalyse der Studien zeige, dass eine Zulassung doch beantragt werde. Die Firma Neurimmune will nichts zu Aducanumab sagen, dem am weitesten fortgeschrittenen Projekt. Nur dass diverse weitere Wirkstoffkandidaten gegen Alzheimer in der Entwicklung seien. Biogen hat für Anfang Dezember eine Medienkonferenz in den USA mit den neusten Aducanumab-Resultaten angekündigt.

Die Schweiz arbeitet an einem Heilmittel

Die Konkurrenz forscht ebenfalls: Roche betreibt seit vielen Jahren ein breites Forschungsprogramm im Bereich Alzheimer. «Dabei forschen wir sowohl an Behandlungsmöglichkeiten, wie auch an Verfahren mit denen man die Krankheit und ihren Verlauf diagnostizieren kann», sagt Daniel Grotzky von Roche. «Unser Studienprogramm verläuft in unterschiedlichen Patientengruppen. Darunter sind sowohl gesunde Patienten mit hohem Demenzrisiko sowie Alzheimer-Patienten im Frühstadium. Es ist durchaus möglich, dass die Behandlung von Alzheimer in Zukunft eine Mischung aus präventiven und therapeutischen Mitteln sein könnte.» Roche forscht nicht nur an Amyloid-Ansätzen, sondern auch im Bereich von Anti-Tau-Medikamenten, an Entzündungen als Auslöser von Alzheimer sowie an generischen Ansätzen.

Mehrere Medikamente in klinischer Forschung

Die Basler Pharmafirma hat mehrere Alzheimer-Wirkstoffe in der klinischen Forschung. Drei davon entfernen über verschiedene Wege das Plaque Amyloid im Gehirn. Ein anderer Wirkstoff bekämpft das Eiweiss Tau. «Wir haben zudem in Europa zugelassene Testverfahren entwickelt, welche die Konzentration der Proteine Amyloid und Tau in Patienten über die Wirbelsäulenflüssigkeit messen können und somit zur Früherkennung beitragen können», sagt Grotzky. Digitale Tools und Bluttests befänden sich in Entwicklung. Für den Amyloid-Wirkstoff Gantenerumab erwartet Roche abgeschlossene klinische Studienresultate, die eine Zulassung als Medikament ermöglichen ab dem Jahr 2022.

CH Media