Die Südkoreanerin Bae Suah ist Residenzautorin im Literaturhaus Zürich. Schriftstellerin zu werden, war nie ihr Traum - heute zählt sie in ihrer Heimat zu den gefragtesten Schriftstellern.
Es gibt Schriftsteller, die sich früh ihrer zukünftigen Berufung bewusst sind. Thomas Mann beispielsweise schrieb Aufsätze für eine Schülerzeitschrift und setzte in einem Brief neben seiner Unterschrift die Bezeichnung «Lyrisch-dramatischer Dichter». Dann gibt es Autoren und Autorinnen, die scheinbar durch Zufall den Weg zum Schreiben finden. Zu Letzteren gehört die südkoreanische Autorin Bae Suah. Die 1965 in Seoul geborene Schriftstellerin sitzt in einem Café in der Zürcher Altstadt und erinnert sich genau an das Gefühl, als sie ihre erste Kurzgeschichte geschrieben hatte: «Ich war selber überrascht, zuvor hatte ich nie irgendetwas geschrieben und hatte nie geträumt, Schriftstellerin zu werden.»
Die Kurzgeschichte «A Dark Room» wurde 1993 veröffentlicht. Seither hat sie zahlreiche Erzählbände, Romane und Essays veröffentlicht und zählt zu den herausragendsten Autorinnen Südkoreas. Auf Einladung des Literaturhauses lebt Bae seit Juli für ein halbes Jahr als Residenzautorin in der Limmatstadt. Heute Abend liest sie in Zürich aus dem Roman «Die niedrigen Hügel von Seoul» vor, der bald auf Deutsch vorliegen wird; bisher sind Baes Werke nur auf Koreanisch oder Englisch erhältlich. Im Roman erzählt sich eine Zufallsgemeinschaft von Reisenden und Emigrierten Geschichten über eine mysteriöse Schauspielerin. Es sind Geschichten über das Reisen und das Fremdsein. Themen, die auch in ihren bisherigen Erzählungen anklangen.
Nachdem Bae zunächst an der Universität Chemie studiert und als Beamtin für das Verteidigungsministerium gearbeitet hatte, fand sie zur Schriftstellerei. Ihre ersten Gehversuche als Autorin unternahm sie an einem Ort, an dem die künstlerische Schöpfung nicht im Vordergrund steht: in einem Kurs für Tastaturschreiben.
Die Computer seien klobige Dinger gewesen, die man mit Floppy Disks füttern musste, erinnert sich Bae. «Ich habe einfach ganz spontan einen Satz eingetippt, der mir gerade durch den Kopf ging. Das war der erste Satz meiner ersten Kurzgeschichte. Danach habe ich den zweiten Satz eingetippt, ohne zu wissen, was als Drittes kommen würde und habe weitergeschrieben bis zum Ende.» So einfach geht das.
Nebst ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ist Bae auch Übersetzerin von deutschsprachiger Literatur ins Koreanische. Den Zugang zur Deutschen Sprache hat sie ebenfalls per Zufall gefunden - bei Bae scheint das Programm zu sein. 2001 hatte Bae genug selbst Gespartes, um ein Jahr im Ausland leben zu können. Ursprünglich wollte sie nach England, doch eine Freundin erzählte ihr, dass Berlin viel günstiger sei. Also sagte sie sich selber: «Ok, dann gehst du nach Berlin.» Deutsch sprach sie zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort.
In Berlin angekommen, besuchte Bae eine Zeit lang eine Sprachschule, die sie aber bald abbrach. «Die Texte, die wir lernen mussten, waren total langweilig», erzählt Bae. Viel lieber wollte sie die Bücher lesen, die sie in den schönen Berliner Buchhandlungen auffand. Also bewaffnete sie sich mit einem Wörterbuch und begann Thomas Manns «Der Tod in Venedig» zu lesen. «Eine schockierende Erfahrung», sagt Bae und lacht dabei. «Das Buch war so schwer, und die Sätze waren unglaublich lang.» Trotzdem habe es ihr geholfen, denn so habe sie das Übersetzen für sich entdeckt und gleichzeitig die Sprache gelernt.
Bae Suah (Der Familienname wird im Koreanischen dem Vornamen vorangestellt) ist eine der herausragendsten Stimmen der zeitgenössischen Literatur Südkoreas. Korea und die koreanische Kultur spielen eher selten eine tragende Rolle in ihren Werken. Viel lieber schweift sie in imaginäre und fremde Länder und Sprachen. Die Komplexität von Beziehungen, die Sprachlosigkeit und Entfremdung spielen eine wichtige Rolle in ihren Texten. Ihr Roman «Die niedrigen Hügel von Seoul» wird bald auf Deutsch vorliegen. Bae wird als "Writer in Residence" bis Dezember dieses Jahres als Gast des Literaturhauses in Zürich verweilen.