«Alkestis!» im Luzerner Theater: «Sie lebt und ist schon tot»

«Alkestis!» hatte Premiere. Das «Satyrspiel» des altgriechischen Autors Euripides ist eine spannungsvolle Reise durch die Ober- und Unterwelt. Sogar Reuss und See spielen eine Rolle.

Edith Arnold
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Szene aus «Alkestis!» mit der von Angeliki Papoulia gespielten Titelfigur. (Bild: Ingo Höhn/Luzerner Theater)

Szene aus «Alkestis!» mit der von Angeliki Papoulia gespielten Titelfigur. (Bild: Ingo Höhn/Luzerner Theater)

Was «Alkestis!» mit dem Heute verbindet? Zumindest das Ausrufezeichen. Laut ist es, laut im Diffusen. Auch auf der dunklen Bühne. Es röhrt und dröhnt durch den aufkommenden Nebel. Dazu rückt eine Stimme Euripides’ Drama um Alkestis von 438 vor Christus ins Jahr 2019.

Alkestis erklärt sich tatsächlich bereit, anstelle ihres Gatten Admetos in den Tod zu gehen. Hinter dem bizarren Entschluss stecken Beziehungsgeflechte, Gefallen im Austausch mit Strafen, auch zwischen Göttern und Menschen. Um es kurz zu fassen: Der göttliche Apollon musste dem sterblichen Admetos dienen. So strafte ihn Zeus für die Ermordung der Zyklopen. Doch ein Dienst hatte Folgen. Weil man Artemis ein Opfer versagte, müsste Admetos nun sterben. Apollon konnte den Gefallen aushandeln, dass Admetos weiterleben dürfe, wenn sich jemand anderer für ihn opfert.

Es herrscht Heiterkeit auf dem Sterbebett

«Heute ist es so weit, Alkestis liegt im Sterben», sagt die Stimme über der Bühne. «Lebe wohl!» Aus dem roten Haufen auf dem Boden erhebt sich etwas: Alkestis (Angeliki Papoulia) im weissen Gewand mit einem Granatapfel in der Hand! Im Hintergrund erscheinen zwei weisse Gestalten. Sie sorgen mit ohrenbetäubenden Laubbläsern für Ordnung. Immerhin wirbeln diese auch das Kleid von Alkestis romantisch auf. Schwebt sie gleich fort?

«Sie lebt und ist schon tot», ertönt es. Grabschmuck wird geholt, ein Sterbebett installiert. Admetos (Jakob Leo Stark) nimmt seine Frau in die Arme. Ein Kammerspiel zwischen dem Liebespaar ereignet sich: «Was soll ich tun?», lacht Admetos und legt sich auf Alkestis. Es herrscht Heiterkeit auf dem Sterbebett. Dazu zwitschern Vögel. Alkestis zuckt und schreit sich ins Jenseits. Dann verschwindet die Tote hinter einem gläsernen Sarg und Blumen. Die Ästhetik erinnert an mediterrane Filmszenen.

Einen Sommer lang vertieften sich die Regisseure Angeliki Papoulia und Christos Passalis in griechische Dramen. Keine begeisterte sie wie «Alkestis» von Euripides. Das «Satyrspiel» war die perfekte Mischung zwischen Tragödie und Komödie. Es bot sich an, laut über Leben und Tod nachzudenken: Alle wollen ewig leben, ausgerechnet die junge, schöne Alkestis opfert sich. Wieso tut es eigentlich nicht ihr Mann? Das Stück wird die erste gemeinsame Regiearbeit.

«Steht auf!», fordert Admetos plötzlich auf. Das Publikum leistet ihm Folge und steckt bald mitten in einem lauten Disput. Der Witwer spricht vom Zuschauerraum aus zu seinem Vater Pheres (Yves Wüthrich) auf der Bühne. Alles gerät ausser Rand und Band: Seine junge Frau ist tot statt der alte Vater. Ach! «Es gibt kein Gesetz, dass Väter für die Söhne sterben müssen!», lärmt Pheres. «Und bedenk: Du liebst dein Leben, andere lieben’s auch! Ich wäre ein Narr, wenn ich mir zu sterben wünschte!» Der Sohn schreit zurück: «Unerträglich ist es, wie du dich am Leben hältst! Wie schamlos ist das Greisenalter doch!» Der Sohn springt auf die Bühne zum Vater. Dieser winselt vor lauter Angst, dreht aber später wieder die Stimme auf.

Filmreife Szene vor dem See

Ab nach draussen zur Prozession. Vor dem Theater ist Alkestis aufgebahrt. Blasinstrumente sorgen für mediterrane Begräbnisstimmung. Ein paar Besucher zünden Zigaretten an. Pheres reisst ein Fenster auf, schmeisst Blumen auf die Szenerie und schreit mit hoher Stimme in die Nacht hinaus.

Am Ufer des Flusses wird der Sarg auf ein Schiff geladen. Es entschwindet in der Dunkelheit. Eine filmreife Szene, inspiriert vom Vierwaldstättersee mit Felsen im Hintergrund und dem «Toteninsel»-Bild von Arnold Böcklin.

Nach der Pause lockt griechischer Technopop in den Theatersaal zurück. Auf der Bühne geht es wild zu und her. Neben Baumstämmen, kahl wie Stangen, bewegen sich Herakles mit weissem Ziegenkopf und ein Tänzer mit schwarzem Glitzershirt auf allen Vieren. Sie rhythmisieren den Ort auf animalische Art und Weise.

In dieser Unterwelt geht Alkestis’ Reise weiter. Zuerst noch gleitet sie starr über den Boden. Manchmal erscheint sie doppelt oder dreifach. Und dann: Ist es wirklich seine Geliebte hinter dem Schleier, die Herakles zu Admetos zurückbringt? Nach drei Tagen Todesbann lüftet sich das Geheimnis. Auf einmal fällt die Spannung. Es wird ruhig. Das Stück ist fertig. War es gut oder sehr gut? Irgendwo dazwischen.

«Alkestis!». Noch bis 13. Juni. www.luzernertheater.ch