Kulturpolitik
17 Bewerbungen für 100'000 Franken aus dem Fördertopf: Warum Stefan Wagner von der Thurgauer Kulturstiftung eine positive Zwischenbilanz des Ideenwettbewerbs «Ratartouille» zieht

Bei den Eingaben für das neue Veranstaltungsformat der Thurgauer Kulturstiftung sind alle Sparten vertreten. Die Bandbreite ist gross, mitgemacht haben Kulturschaffende, Kunstvermittlerinnen und sogar PR-Profis. Ob am Ende eines der Projekte realisiert wird, ist noch offen.

Christina Genova
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Stefan Wagner ist begeistert über die grosse Anzahl und Bandbreite der Bewerbungen für «Ratartouille».

Stefan Wagner ist begeistert über die grosse Anzahl und Bandbreite der Bewerbungen für «Ratartouille».

Bild: Andrea Stalder (Frauenfeld, 3. November 2020)

Hat überhaupt jemand Lust, mitzukochen am Kultureintopf namens «Ratartouille»? Die Antwort auf diese Frage war völlig offen, als die Thurgauer Kulturstiftung Anfang Dezember einen Ideenwettbewerb für ein neues Veranstaltungformat ausschrieb. Was wie ein französisches Gemüsegericht klingt, soll frischen Wind in die Thurgauer Kulturlandschaft bringen.

Dafür ist die Kulturstiftung zu einem radikalen Schritt bereit: Die von ihr angestossenen und unterstützten Veranstaltungen Werkschau Thurgau, Frauenfelder Lyriktage und das Tanzfestival «Tanz: Now» werden gestrichen, die dadurch frei gewordenen 100'000 Franken für «Ratartouille» zur Verfügung gestellt.

Die Bandbreite ist gross

Nun, drei Monate später, ist klar: Das Interesse für «Ratartouille» ist gross, 17 Bewerbungen sind bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 25. Februar bei der Kulturstiftung eingetroffen. Auf wenigstens zehn Eingaben hatte man gehofft. Bis zum Schluss blieb es spannend: Mehr als die Hälfte der Projekteingaben traf erst in der letzten Woche ein.

Stefan Wagner, der Beauftragte der Kulturstiftung, der «Ratartouille» begleitet, zeigt sich am Telefon hocherfreut über die grosse Anzahl und Bandbreite der Bewerbungen:

«Ich bin begeistert, es sind ein paar sehr tolle Ideen darunter.»

Der grösste Teil der Eingaben stamme aus dem Kanton Thurgau, eine Bewerbung sogar aus Süddeutschland. Kulturschaffende hätten sich ebenso beworben wie Kunstvermittlerinnen und PR-Profis. Die 17 Eingaben seien umso erfreulicher, da sie unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie vorbereitet werden mussten.

Um möglichst viele Leute anzusprechen, war die Ausschreibung bewusst offen formuliert worden. Dies habe sich als Vorteil erwiesen, sagt Wagner: «Viele Leute fühlten sich angesprochen.» Eine Vorgabe war jedoch klar: Es sollten Projekte eingereicht werden, die mehrere Kultursparten miteinander verbinden. Dies ist laut Wagner bei allen Bewerbungen der Fall, ausserdem seien alle Sparten etwa gleich stark vertreten.

Positive Zwischenbilanz

Die Werkschau Thurgau, wie hier 2019 im Kunstraum Kreuzlingen, wird von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau nicht weiter veranstaltet.

Die Werkschau Thurgau, wie hier 2019 im Kunstraum Kreuzlingen, wird von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau nicht weiter veranstaltet.

Bild: Reto Martin

In einem nächsten Schritt wird die «Ratartouille»-Jury die eingegangenen Bewerbungen sichten. Die Jury besteht aus Stefan Wagner, den Mitgliedern des Stiftungsrats Esther Eppstein, Rebecca C. Schnyder und Oliver Roth, sowie der Kulturwissenschafterin Theres Inauen als externer Expertin. Der Ausgang dieser ersten Stufe des Auswahlverfahrens ist offen, das Scheitern ist bei «Ratartouille» Teil des Konzepts: Es ist möglich, dass es keine der Bewerbungen über die erste Runde hinausschafft.

Stefan Wagner hofft jedoch, dass zumindest drei Eingaben die Jury überzeugen werden. Wer die erste Stufe übersteht, erhält 5000 Franken zur weiteren Ausarbeitung des Projekts. Spätestens Anfang April wird über die Entscheidung der Jury informiert. Schon jetzt zieht Stefan Wagner eine positive Zwischenbilanz. Die Ausschreibung habe dazu geführt, dass man in der Kulturszene diskutiert und sich vernetzt habe. Festgefahrene Konzepte seien ins Rutschen gekommen. Das sei überhaupt das Wichtigste an «Ratartouille»: Kulturförderung neu zu denken.

Wagner freut sich ausserdem, dass eine kleine Debatte zur Kulturpolitik entstanden sei. Namentlich haben sich der Lyriker Jochen Kelter und der Autor Peter Stamm kritisch zu Wort gemeldet. Letzterer stört sich an der Bedingung der Interdisziplinarität, Kelter besonders am Einbezug des Publikums in der zweiten Stufe des Auswahlverfahrens.

Diese Wahlveranstaltung, an welcher alle Interessierten teilnehmen dürfen, findet am 2. Juli statt. Gut möglich, dass keines der Projekte die Gnade des Publikums findet. Diese Möglichkeit ist explizit vorgesehen: «Ratartouille soll experimentell ein», sagt Wagner. «Es darf auch einmal nicht funktionieren.» In diesem Fall würde die ausgeschriebene Summe von 100'000 Franken für das nächste Jahr übernommen.