Lucerne Festival
Lucerne Festival: Der Ausweg aus der Abbado-Falle

Lucerne Festival präsentiert den Festspielfreunden Riccardo Chailly, den neuen Chefdirigenten des Festspielorchesters: Mutig, aber auch vorsichtig geht man in die Zukunft

Christian Berzins
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teatro alla scala

Pauken und Trompeten mussten her: das Hotel Palace, ein Starfotograf, ein Apéro riche, eine Diskussionsrunde mitsamt Alt-NZZ-Redaktor. Kein Aufwand war dem Lucerne Festival am Montag zu gross, um Riccardo Chailly, den Chefdirigenten des Lucerne Festival Orchestra (LFO), den Luzernern leibhaftig zu präsentieren.

Als damals am 13. August 2015 Lucerne Festival überraschend die Nachricht von Chaillys neuem Amt verkündet hatte, war eine Pressekonferenz mit Anwesenheit des Italieners nicht möglich – und auch unpassend, dirigierte doch nur einen Tag später der «Ersatz-Abbado» Andris Nelsons, einst als möglicher Nachfolger hoch gehandelt, das LFO.

Eine Woche vor Vorverkaufsbeginn des Sommerfestivals galt es, aus der Präsentation ein Ereignis zu machen. Gar nicht so einfach, ist Chailly doch ganz einfach ein alter Luzerner Bekannter. In den letzten 28 Jahren dirigierte er mit seinem Concertgebouw Orchestra Amsterdam und seinem Gewandhaus Orchester Leipzig rund 36 Festival-Abende.

Im Sommer 2016 allerdings wird er erstmals das Lucerne Festival Orchestra dirigieren: das sogenannte «Orchester der Freunde», das mit dem verstorbenen Claudio Abbado eng verbunden war. Keine leichte Aufgabe, wenn man in der Vergangenheit gesehen hat, wie heikel das aus Top-Musikern zusammengewürfelte Sommer-Orchester auf andere Dirigenten reagierte.

Keine Überfigur

Eine Überfigur wie Legende Abbado ist Chailly nicht, kann er mit 63 Jahren wohl auch gar nicht sein. Und hier liegt auch das Problem von Lucerne Festival: Wie mache ich nun aus Chailly-Konzerten Ereignisse, wie rechtfertige ich Preise von 50 bis 350 Franken? Wie schaffe ich es, dass die Konzertveranstalter in London oder Tokio das LFO einladen, ohne dass das Festival draufzahlen muss?

Und doch scheint Chailly auf dem Papier eine ideale Lösung: Der Mailänder ist gewillt, mit dem LFO zu arbeiten, Neues zu erreichen. Zudem will sich Chailly auf seine Arbeit an der Scala und in Luzern konzentrieren: Lucerne Festival hat also eine gewisse Exklusivität.

Im Sommer 2016 dirigiert er bloss ein Programm, die 8. Sinfonie Gustav Mahlers. Eine schöne Idee, den Mahler-Zyklus von Abbado zu «vollenden». Aber Chailly läuft damit auch Gefahr, in die Abbado-Falle zu geraten: Vor allem der Podiumsleiter wird erneut jammern: «Oh, das ist aber nicht ganz so wie bei Abbado!»

Diesen (Vor)Urteilen weicht Chailly ab 2017 aus, da er dann von den Bruckner- und Mahler-Hits Abstand nimmt und unter anderem Strawinskys «Oedipus rex» dem unbekannten «Edipo» von Gioacchino Rossini gegenübergestellt.

Erstaunlich: Nur das Eröffnungskonzert wird 2017 zweimal gespielt, die zwei Programme gibts je einmal (Abbado dirigierte gewiss gleich dreimal vor vollem Haus!). Insgesamt dirigiert Chailly vorerst also bloss vier Abende. Die sollten eigentlich verkauft werden.

Interessant wird zu sehen sein, ob der Kern des LFO – die Aushängeschilder, die anderswo als Solisten oder in Kammerformationen auftreten – weiterhin mitmacht. Von vielen ist diese Bereitschaft signalisiert. Riccardo Chailly ist allerdings ein Dirigent, der sehr genaue Vorstellungen hat, wie ein Orchester klingen soll. Die Individualisten im LFO werden sich daran gewöhnen müssen - das flexlible Mahler Chamber Orchestra, Stamm des LFO, wird damit kaum Mühe haben. Gross verändern will Chailly das LFO nicht – allein ein paar Scala-Musiker werden hinzustossen. Die Ersatzbank ist lang. Um das LFO sollte man sich keine Sorgen machen.

Konzerte mit Chailly 12. und 13. August, KKL, Karten ab 7. 3., www.lucernefestival.ch