Festival
Montreux zwischen Schein und Sein – zwei Stars im Vergleich

Joan Baez sang und sprach, Janet Jackson tanzte und machte Show. Die zwei Stars im Vergleich.

Mathias Haehl
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Montreux

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Keystone
und Joan Baez bei ihren Auftritten in Montreux.

und Joan Baez bei ihren Auftritten in Montreux.

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Zugegeben, es ist kein Schleck, eine Jackson zu sein. Traumatische Jugend unter einem tyrannischen Vater, als kleine Schwester immer im Schatten des grossen «King of Pop», Skandale ohne Ende. Kein Wunder, hat Janet mit der Familie lange schon gebrochen. Mittlerweile ist die Suchende zum Islam konvertiert und trat in züchtiger schwarzer Robe auf. Doch der Montreux-Abend zeigte erschreckend klar, dass die 53-Jährige keine Stimme (mehr) hat.

Der Auftritt war immerhin Augenfutter, dank schmissiger Choreografie und acht agilen Tänzern. Den Erwartungen entsprach auch die kompetente Band, die stilsicher R ’n’ B mit Funk und Rap mit Rock mischte. Mit diesem eingängigen Sound war Janet zwischen 1989 und 1991 bestbezahlte Musikerin und Vorbild der schwarzen Teenager – ein Gegenpol zu Madonna.

Musikalisch sprachlos

Janet war einst gar politisch: Sie sang gegen Gewalt an Frauen und Benachteiligung der Schwarzen – alles selbst erfahren. Und alles in Videos immer stylish präsentiert, ganz wie es Michael vormachte. Doch die Zeiten von seelenlosen MTV-Bildern sind vorbei. Überdies ist die Jackson musikalisch schon lange sprachlos, deshalb liess sie 2004 an der weltweit übertragenen Superbowl-Sportshow ihren Busen blitzen. Nipplegate war eine Verzweiflungstat für Schlagzeilen. Und jetzt, out of the blue, eine Tour! Das Comeback? Leider misslungen.

Ganz anders präsentierte sich «Rebellen-Oma» Joan Baez: natürliche Ausstrahlung statt dickgeschminkter Glamour wie bei Janet. Da steht sie dann, ganz allein mit ihrer Gitarre, und stimmt gleich ein neues Lied an: «I am the last Leaf on the Tree». Dieses letzte Blatt am sterbenden Baum ist nicht welk, sondern eine graziöse alte Dame: kurzes, weisses Haar, weisser Nadelstreifen-Blazer und Jeans. Der Leder-Sandalen entledigt sie sich dann aber schnell wieder, um barfuss Kontakt mit der Erde zu haben – und vor allem: Kontakt zu ihren Fans. Zwischendurch erklärt die Weltgewandte ihre Protestlieder eloquent auf Französisch. Sie holt voller Freude ihren «lovely» Sohn Gabriel Harris an die Drums und dann eine Grace mit Engelshaar ans Mikrofon, damit diese «die hohen Noten singt, die ich verloren habe». Bei Baez wird nichts kaschiert, die 78-Jährige steht zu ihrem Alter.

Unaufgeregte Leidenschaft

Sie trägt eigenes Material vor, Songs von Donovan oder «Suzanne» von Leonard Cohen, auch «House of the Rising Sun» und «Gracias a la Vida», dieses berührende Dankeslied ans Leben. Die «Queen of Folk» singt immer unaufgeregt – aber stets leidenschaftlich. So geht ihre musikalische Revolution immer noch ans Herz, und zwischendurch erlaubt sich Joan Baez dann sogar, ein wenig überraschendes, aber trefflich formuliertes Plädoyer gegen US-Präsident Donald Trump zu führen: «Dies ist nicht die Zeit, eine Mauer hochzuziehen! Wir sollten vielmehr den Armen Nahrung und Kleider geben und für deren Kinder Mitgefühl haben.» Wem sagt sie das – es sind eh nur Gleichgesinnte da: Der Applaus tobt.

Der grosse Beifall gilt auch einer Frau, die Geschichte schrieb: Mit 22 Jahren sang Joan Baez 1963 für den Schwarzenrechtler Martin Luther King. Auch sie hatte einen Traum von einer gerechten Welt. Und vor exakt 50 Jahren wurde sie neben Hendrix und Santana in Woodstock zur Legende, mit geschätzten 400'000 Besuchern war das Festival der Höhepunkt der Hippie-Bewegung.

Sie war überdies Muse und Part- nerin von Bob Dylan und Steve Jobs, genau: dem Apple-Mitbegründer. In letzter Zeit machte Joan Baez sich gegen Umweltverschmutzung, gegen die Todesstrafe und den Waffenkult in den USA stark. «Europa war mir immer treu, an den USA rieb ich mich immer.» Ihre Farewell-Tour beendet Joan Baez deshalb auf dem alten Kontinent, um dann in Madrid ihr allerletztes Konzert zu geben.

Die Sängerin weiss: «Musik öffnet Herzen und kennt keine Grenzen.» Janet fordert: «Wir brauchen mehr Liebe.» Gleiches Thema, unterschiedliche Herangehensweise: Die eine setzt dabei ganz auf Sein, die andere nur noch auf Schein.