An der Mailänder Scala beleidigt Riccardo Muti seinen Kollegen Riccardo Chailly. Vorausgegangen war ein Affront.
Die menschlichen Dramen, die an der Mailänder Scala derzeit gespielt werden, zeigen, wie viele Phrasen in der Musikwelt oft gedroschen werden, wie dumm aber die hochdekorierten Protagonisten bisweilen agieren. Im aktuellen Stück sind es der ehemalige und der aktuelle Musikdirektor: Riccardo Muti und Riccardo Chailly, der nebenbei Chefdirigent des Lucerne Festival Orchestra ist.
Am 11. Mai sollte Riccardo Muti die Wiener Philharmoniker in der Scala dirigieren, ein legendäres Datum, wurde doch die Scala am 11. Mai 1946 nach dem Krieg wiedereröffnet. Nicht ganz zufällig fiel das Datum überein mit dem ersten Konzert nach dem zweiten Lockdown: Es würde also eine Riesensache werden. Perfekt für Maestro Muti, der solche Auftritte liebt. Bald wurde aber gefragt, warum denn nicht das eigene Orchester die Wiedereröffnung bestreite – und flugs ein Konzert am 10. Mai angesetzt. Mit Maestro Chailly.
Als das Konzert am 11. Mai fertig war, standen einige Menschen vor dem Künstlerzimmer Mutis. Eingereiht in die Schlange hatte sich auch Riccardo Chailly. Als er an der Reihe war, Mutis Hand zu schütteln (oder ihm die Faust zum Gruss zu schlagen?), fragte Muti: «Wer ist das, was macht der hier?» Typischer Muti-Scherz, dachten alle.
Chailly nahm die Maske ab und sagte, er sei hier, um ihm für das Konzert zu gratulieren. Da wurde Muti böse und fluchte, dass er doch gesagt habe, er wolle hier nur jene Personen sehen, die er erlaubt hätte. Chailly ging – und Muti schickte ihm Schimpfwörter aus der neapolitanischen Gassensprache nach.
«Der bringt die Wiener nie in die Scala, ich schon sechs Mal! Ich verstehe nicht, warum ihn die Scala nicht schon rausgeworfen hat»
, schimpfte er danach.
Die erhoffte Oper, die Muti 16 Jahre nach seinem Abgang endlich wieder am Teatro alla Scala dirigieren sollte, ist nach diesem Theater wohl passé, auch wenn Intendant Dominique Meyer das Geschehen als eine Kinderei abtat. 2005 musste Muti die Scala verlassen, da sich die Belegschaft gegen ihn aufgelehnt hatte – mit 700 zu 5 Stimmen.
Am 7. Dezember, dem heiligsten Tag des Mailänder Opernlebens, eröffnet Riccardo Chailly die Opernsaison mit Verdis «Nabucco», der Staatspräsident soll in der Loge sitzen. Muti dirigiert an diesem Tag in der Fondazione Prada auch «Nabucco». In Mailand.