Im Zwei-Personen-Stück «Brief einer Unbekannten» nach einer Novelle von Stefan Zweig unternimmt Simone Stahlecker eine Reise in den Schmerz, der ihren Partner Matthias Fankhauser unberührt lässt.
Das Österreich-Ungarn Sigmund Freuds ist das Biotop gewesen, in dem der 1881 geborene Stefan Zweig sein schriftstellerisches Werk entfaltet hat. Wortreich umkreisen seine Erzählungen Abgründe der Seele, ohne die Geheimnisse ihrer Protagonisten wirklich aufzudecken.
Das gilt auch für die Novelle «Brief einer Unbekannten» aus dem Jahr 1922: Eine junge Frau, sterbenskrank, gesteht einem Schriftsteller ihre seit Jugendtagen heftig lodernde heimliche Liebe zu ihm. Später haben sie drei Mal die Nacht miteinander verbracht, sie hat ein Kind geboren – sein Kind, doch von ihren Gefühlen ahnt der Mann ebenso wenig, wie er um das Kind weiss, das einen frühen Tod gestorben ist. Er will all das wohl auch nicht erfahren, weil er in allen Affären, die er pflegt, ungebunden bleiben will. So erkennt er seine Kurzzeit-Geliebte von einst denn auch nicht wieder, als er einmal bei der zur Kurtisane Gewordenen Liebe gegen Bezahlung sucht.
Am Theater Winterthur hat Thomas Guglielmetti aus diesem brieflich vorgetragenen Seelendrama ein Bühnenstück gemacht, das im Foyer vor der raffiniert halbtransparenten Kulisse von Florian Barth gespielt wird. Und während vorne in des Schriftstellers herrschaftlich-behaglicher Wohnung Simone Stahlecker und Matthias Fankhauser Zweigs Text in einer abwechslungsreichen Abfolge von Auf- und Abtritten zum Leben erwecken, hat sich hinter der Kulisse das aus Marissa Domeisen, Yolanda Hauser (Violinen), Patrizia Steiner (Viola) und Simon Zimmermann (Cello) bestehende Martha-Quartett platziert und spielt Schubert-Quartettsätze.
Die Melancholie dieser Musik prägt die Stimmung. «Die Resignierten sind ja erst die wahren Wissenden», schreibt die schöne Unbekannte, die ihrem ignoranten Verehrten jedes Jahr zum Geburtstag weisse Rosen schicken lässt. Doch spricht weniger Resignation aus ihrem Brief als Schmerz. Denn sie hat ebenso das Leben verpasst wie er.
Mit einem Unterschied freilich, den Simone Stahlecker und Matthias Fankhauser in ihrem spannungsreichen Spiel deutlich machen. Während sie eine Entwicklung durchmacht vom Kindlich-Schwärmerischen zum tief Verzweifelten, bleibt er leichtfüssig-unberührt und bewegt sich auch so. Die Tiefen der Seele, sie bleiben ihm verschlossen. Heute würde man sagen: Der Mann ist ein Narzisst – und wäre damit wieder bei Sigmund Freud.
Weitere Aufführungen bis 8. Januar.