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Kultur
Normalerweise unterrichtet Alfred Bodenheimer die Studenten der Universität Basel in jüdischer Literatur. Manchmal wird er aber selbst zum Schöpfer und schickt Rabbi Klein auf seine Abenteuer.
Alfred Bodenheimer: Es wäre eine Möglichkeit gewesen, aber dann hätte ich erboste Reaktionen erhalten. Abgesehen davon: Ich brauche sie noch!
Das schöpferische Moment mit einem Narrativ umgehen zu können ist zweifellos spannend. Man darf aber nicht unterschätzen, dass die Figuren ein starkes Eigenleben entwickeln. Es ist keineswegs so, dass ich diese als Autor komplett in der Hand habe. Sie können sogar die Handlung verändern. Vor allem die Hauptfiguren sind mit der Zeit fast wie Menschen, die man gut kennt, die einen aber auch überraschen können. Natürlich entsteht alles im eigenen Kopf, aber man kommuniziert im Geist mit den Figuren. Ich bin zwar der Meister der ganzen Geschichte, aber irgendwie spornen die Figuren mich auch an. Diese Dynamik, diese Verhandlung und Konfrontation mit den Figuren macht den Schreibprozess so interessant.
Ich hatte 2012/13 ein Freisemester, in dem ich eigentlich an ganz anderen Projekten arbeitete. Da kam, obwohl ich zuvor nie daran gedacht hatte, plötzlich die Idee für einen solchen Krimi. Die Handlung flog mir innert ganz kurzer Zeit zu. Doch das geschah ausgerechnet an einem Freitagabend bei Schabbatbeginn. Das hat bedeutet, dass ich als praktizierender Jude zunächst 24 Stunden lang gar nichts aufschrieb, dass ich die Geschichte den ganzen Tag in meinem Kopf herumgedreht habe. Am Samstagabend, sobald der Schabbat zu Ende war, setzte ich mich hin und begann zu schreiben. Bis zum kommenden Freitag hatte ich die Geschichte niedergeschrieben. Der neue zweite Band ist dann nicht mehr so spontan entstanden.
Nein, ich lese sehr wenig Krimis. Ich mochte Jakob Arjounis Bücher, seine Milieudarstellungen finde ich schön, und er zeigt auch eine gewisse ethische Grösse. Action-Krimis sagen mir nichts.
Der wird mir bis zu meinem Lebensende nachgetragen. Ich habe einmal vor etwa 30 Jahren einen Band gelesen, meine Eltern hatten ihn im Regal stehen. Seither habe ich überhaupt nicht mehr daran gedacht. Auch nicht, als ich meinen Rabbi «Klein» nannte.
Das kann sein, ich habe gar nie mehr in das Kemelman-Buch hineingeschaut. Mir war wichtig, dass Klein nicht nur Rabbiner ist, sondern auch einen akademischen Hintergrund hat. So kann er die traditionelle jüdische mit der akademischen Reflexionsebene verbinden. Anderseits wollte ich jemanden zeigen, der auch ein wenig ein gebrochener Mensch ist, der sich und seinen Glauben oft hinterfragt.
Jemand hat mich gefragt, ob ich das noch genauer erklären könne. Aber die Romane an sich dokumentieren doch, was damit gemeint ist. Dieses Schwanken reizt mich an dieser Figur. Das «On» ist eigentlich interessanter als das «Off», denn das «Off» ist heute hierzulande eigentlich der Standard bei den meisten Leuten.
Ein lebendes Vorbild habe ich so nicht. Ein Rabbi, der das gelesen hat, sagte mir, ich sei wirklich in den Kopf eines Rabbiners gestiegen. Das hat mir natürlich gefallen. In Zürich wird gerade wieder ein Rabbiner gesucht, und in der jüdischen Presse habe ich gelesen, was sie sich alles von diesem wünschen. Vieles. Als ich das las, dachte ich: Der Klein wäre nicht der Schlechteste für diese Gemeinde.
Interessanterweise war das Echo durchgehend gut: Von Leuten, die vollkommen säkular sind, aber auch von ganz orthodoxen Menschen habe ich positive Reaktionen bekommen.
Er regt wohl eher zum Denken an. Rezensenten haben ihn aber oft als liberalen Rabbiner gelesen, was er nicht ist. Er arbeitet zwar in einer Gemeinde mit vielen liberalen Juden, aber er ist was man heute vielleicht «modern orthodox» nennt.
Das ist nicht ganz falsch. Der Gebrauch des Junkie-Begriffs ist natürlich populär. Aber er hat viel mit meiner Reflexion über die jüdische Religionsgeschichte und über das jüdische Narrativ zu tun. Im Roman kann ich das in einer Form auf den Punkt bringen, wie ich es in der Wissenschaft nicht könnte. Ich möchte auch nicht einfach eine Krimihandlung erzählen, sondern Aspekte hineintragen, die zu einer geistigen Auseinandersetzung anregen. Was heisst es, Jude zu sein? Was heisst es, in einer Beziehung zu Gott zu stehen? Was heisst es, die Welt durch jemanden zu sehen, der sich stark an der Bibel, an der jüdischen Interpretation, orientiert und zugleich ein Kind der säkularen Schweiz ist? Das macht für mich den Reiz dieser Bücher aus.
Als Nebenerscheinung ist das toll.
Ja, geplant ist er, aber der muss ja auch gut sein, muss den Lesern, dem Verlag und meiner Frau gefallen – sie ist immer die erste Leserin. Wenn es geht, möchte ich ihn im Sommer während der Semesterferien schreiben.
Wenn es sich von der Handlung her ergibt. Ich will nicht, dass diese Krimis zur Programmliteratur verkommen. Aber schon im zweiten Band gibt es einen Seitenhieb gegen den Ausgrenzungs-Antisemitismus. Nur zum übergeordneten Thema wollte ich das nicht machen. Wenn ich finde, dass so etwas zur Handlung passt, nehme ich es hinein. Das Allerwichtigste ist für mich, dass ich ein authentisches, lebensweltliches Bild zeichne darüber, wie ein Schweizer Jude heute lebt. Das kenne ich, das kann ich glaubwürdig vermitteln. Ich will aber nicht forciert um Verständnis werben.
Lesung. Alfred Bodenheimer liest morgen Mittwoch, 22. April, um 20 Uhr in der Buchhandlung Thalia in Basel aus Rabbi Kleins zweitem Fall «Das Ende vom Lied». Reservation: basel@thalia.ch