Lucerne Festival
Outlaws im Zentrum der Macht

Das Lucerne Festival dreht sich dieses Jahr um die Essenz der Macht – exemplifiziert durch Komponist Thomas Kessler und Pianist Igor Levit.

Urs Mattenberger
Drucken
Bewegte sich immer etwas abseits der Machtzentren der zeitgenössischen Musik: Thomas Kessler, Pionier der elektronischen Musik. zVg

Bewegte sich immer etwas abseits der Machtzentren der zeitgenössischen Musik: Thomas Kessler, Pionier der elektronischen Musik. zVg

Selbst mit 80 Jahren arbeitet der Basler Komponist Thomas Kessler noch jeden Tag. Es sei ein «notwendiges Übel», scherzte er im November in der bz, als er mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet wurde: «Weil ich meine, dass es noch fehlt: mein Meisterwerk.»

Vielleicht hören wir dieses im Rahmen des Lucerne Festival im Sommer (16. August bis 15. September). Dessen Intendant Michael Haefliger stellte an einer Medienkonferenz neben neuen Details zum Sommer-Programm unter dem Motto «Macht» wichtige Akteure vor. Neben dem Pianisten Igor Levit, der einen Zyklus mit allen Klaviersonaten von Beethoven startet, eben auch den «Composer in residence» Thomas Kessler, einer der Pioniere der elektronischen Musik in der Schweiz.

Essenz des Widerstands

Sein Fall zeigt exemplarisch, wie das Thema «Macht» umgesetzt wird. Thomas Kessler bewegte sich als Pionier der elektronischen Musik in der Schweiz immer schon etwas abseits der Machtzentren der zeitgenössischen Musik. Etwa, indem er nach der Begegnung mit dem US-Slampoeten Saul Williams, einem der Gründungsväter der Spoken-Word-Bewegung, Rap und zeitgenössische Musik in einem seiner Stücke fusionierte: «said the shotgun to the head», welches 2005 im Stadtcasino unter Einbezug des Sinfonieorchesters Basel uraufgeführt wurde.

Am Festival wird neben diesem Stück auch Kesslers zweite Zusammenarbeit mit Saul Williams vorgestellt. «NGH WHT» übersetzt das Sprachstakkato eines Textes, in dem es «um die Ursprünge des Hip-Hop, die Essenz des Widerstands geht», in die Musik eines Streichquartetts, das Williams’ «atemloser Rezitation wie einer Synchronspur» folgt. Machtverhältnisse in der Musik reflektiert auch «Utopia III», in dem die Musiker der Lucerne Festival Academy die live-elektronische Klangmodulation selber steuern.

Der Outlaw als Shootingstar

Das Thema Macht zieht sich daneben durch alle Programmschienen. Ein klassisches Gegenstück zu Kesslers «Essenz des Widerstands» sind die Aufführungen von Mozarts Da-Ponte-Opern durch das Orchester musicAeterna unter Teodor Currentzis. Der griechische Dirigent hatte diese Werke mit einer furiosen Theatralität auf CD gebannt, die ihn vom Outlaw zum Shooting-Star der Klassik-Szene machten.

Ein Beitrag zum Machtthema sind «Le nozze di Figaro», «Don Giovanni» und «Così fan tutte» zudem, weil sie Spielarten der Macht umkreisen: die politische, die erotische und die psychologische Macht. Ein Festival-spezifisches Highlight ist, dass dabei Cecilia Bartoli erstmals mit Currentzis zusammenarbeitet.

Einen dritten Schwerpunkt zum Festivalmotto bietet der Erlebnistag im KKL. Die doppelte Ausrichtung auf das Thema Macht und auf Familien führt hier zu einem breit gefächerten Programm vom Sitzkissenkonzert bis hin zur Podiumsdiskussion über Machtverhältnisse – mit Micheline Calmy-Rey und dem Pianisten Igor Levit.

In der einzigartigen Parade der internationalen Sinfonieorchester stellt sich die Macht-Frage noch einmal anders. Inhaltlich geben hier – wenig überraschend – Komponisten den Ton an, deren Leben und Wirken durch Diktaturen oder Weltkrieg geprägt war. Aber man kann hier auch personelle Konstellationen unter dem Aspekt der Macht betrachten.

Machtmissbrauch und Liebesakt

Diversifiziert wird diese im Fall der festivaleigenen Formationen. Riccardo Chailly dirigiert drei Programme des Lucerne Festival Orchestra (mit Werken von Rachmaninow, Tschaikowsky und Mahler). Aber erstmals überlässt er das vierte Konzert des Festival-Flaggschiffs einem Gastdirigenten (Yannick Nézet-Séguin) und leitet dafür in einem Moderne-Programm Musiker der Lucerne Festival Alumni, die zunehmend vernetzt werden.

Beim Orchester der Lucerne Festival Academy wird das Macht-Vakuum, das durch den abrupten Abgang von Matthias Pintscher entstanden war, durch George Benjamin überbrückt (unter anderem mit dem Werk «Glut» des Aargauers Dieter Ammann).

Ähnlich liegt der Fall beim Concertgebouw-Orchester, das sich von Daniele Gatti nach Vorwürfen wegen Machtmissbrauch und sexueller Belästigung getrennt hatte: Es beweist die «Macht der Musik» mit dem zweiten, dem Liebesakt aus Wagners «Tristan» unter Daniel Harding.

Nachdem es 2018 in Luzern mehrere Chefdirigenten-Debüts gab, kommt dieses Jahr nur Andris Nelsons erstmals mit dem Gewandhausorchester nach Luzern. Die Berliner unter Petrenko, das London Symphony Orchestra unter Rattle, das West-Eastern-Divan-Orchester unter Barenboim oder Bernard Haitink (mit den Wienern und dem Chamber Orchestra of Europe) sind wie die lange Reihe der Starsolisten bereits oder längst so bekannte wie sichere Werte.

Lucerne Festival Der Vorverkauf für das Festival im Sommer beginnt am 25. März: www.lucernefestival.ch