Kunst
Jean Tinguely: Der rastlose Schöpfer ist vor 25 Jahren zur Ruhe gekommen

Heute vor 25 Jahren ist Jean Tinguely verstorben. Wer war «Jeannot», und was bedeutet uns sein Werk heute?

Isabel Zürcher
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Jean Tinguely 1982 mit seiner Skulptur «Si c’est noir, je m’appelle Jean».

Jean Tinguely 1982 mit seiner Skulptur «Si c’est noir, je m’appelle Jean».

Rene Burri/Magnum Photos

Er wollte nicht zur Ruhe kommen. Nicht zu Lebzeiten und nicht danach. Jean Tinguely, der 66-jährig im Berner Inselspital einem Hirnschlag erlag, hatte es sich nicht nehmen lassen, auch seine Beerdigung als Kunst zu orchestrieren. Tausende von Schaulustigen säumten den Trauerzug in Fribourg, Musik spielte auf, Prominenz war da und nahe Weggefährten, Reporter und Kameras dokumentierten fürs Fernsehen.

Im Happening flackerte ein umtriebiger Geist nochmals auf – einer, der offiziell lieber der Strasse als der musealen Wertschöpfung zuarbeitete; einer, dem die Freundschaft mindestens so Rohstoff war wie Altmetall und Schädelknochen; und letztlich auch einer, der sein Bild als populärer Exzentriker bis zuletzt gezielt gegen die institutionelle Vereinnahmung antanzen liess.

Seine Distanz zum offiziellen Kunstbetrieb war zum Scheitern verurteilt. Das Phänomen Tinguely war zu intensiv, sein Werk zu vielseitig und sein Publikum zu zahlreich, als dass ein testamentarisch hinterlegter Wunsch den Künstler lange überleben konnte. Denn wäre es nach ihm gegangen, wäre seine Hinterlassenschaft im Verbund mit Werken von Freundinnen und Freunden in jenem eigensinnigen «Torpedo Institut» geblieben, das er selbst ab 1988 in einer Fabrikanlage von La Verrerie im Hinterland von Vevey eingerichtet hatte.

Überführung nach Basel

Vergeblich suchten seine Erben den Ort – Werkstatt, Bühne, Atelier und Ausstellungsort in einem – gegen den «Verrat» eines Museums in Schutz zu nehmen, während Mario Bottas Neubau in Basel aus dem Boden wuchs. Das Pharmaunternehmen Hoffmann-La Roche überführte den Künstler in dessen frühere Heimat – und garantiert hier seit 1996 die Pflege und Vermittlung von Tinguelys Schaffen.

Als Ausflüge mit Verwandten in den frühen 1980er-Jahren aus einem Basler Vorort in die Innenstadt führte, war das Museum noch in weiter Ferne. Aber der Brunnen vor dem Stadttheater ein fester Programmpunkt. Man machte Fotos, das Schwärmen der Tante mischte sich mit dem hellen Rhythmus des Plätscherns und Tropfens. Man sah, wie sich die Fasnacht aufs ganze Jahr ausdehnt und die sonst funktionale Infrastruktur einer Bühne Platz macht.

Man wurde schaulustig und verstand, ohne es zu wissen, etwas über den wunderbaren Sinn von Kunst. Später entdeckte ich Ähnliches wieder, in Paris, wo Figuren von Niki de Saint Phalle ein Wasserbecken zieren und sich Tinguelys biografische Spuren mit der künstlerischen Avantgarde mischen. Der französischen Hauptstadt verdankte er die Anregung zu ersten kinetischen Plastiken und zu den frühen Zeichenmaschinen. Mit Lötkolben und Schweissgeräten testete er Gleichgewichte, suchte Fortgang und Beschleunigung. Alexander Calder, Marcel Duchamp oder Yves Klein zählten in den 1950er- und 60er-Jahren zu seinen Weggefährten, in der Schweiz teilte Tinguely einen Mentalitätsraum mit Daniel Spoerri oder Bernhard Luginbühl. Wenn man das weiss, entsteht der Eindruck, sie alle hätten ein Bestes von ihrem Können an Tinguelys Poesie vererbt. Und die durch und durch analoge Kunst, die ihre Herkunft – häufig metallene Relikte unserer Industrie- und Konsumgesellschaft – nicht leugnet, hinterlässt das Gefühl, ihr Urheber wäre immer noch da.

Fortleben von Tinguelys DNA

Dass Tinguelys Werk immer noch die Erinnerung an jenen Grandseigneur der Werkstatt vorauseilt, ist kein Zufall. «Tinguely war einer der ersten Künstler, der – auch zusammen mit Niki de Saint Phalle – seine mediale Wirkung sehr bewusst inszenierte, mit bestimmten Attributen, die ‹Celebrity› oder Volksverbundenheit betonten», formuliert Roland Wetzel, seit 2009 Direktor des Museum Tinguely. Die Figur mit dunklem Schnauz und Überkleidern lässt sich heute aus der Distanz beleuchten. «Es kann diese Art der Künstlerpersönlichkeit heute nicht mehr geben, weil sie aus der Zeit fiele.» Und während Jean Tinguely in die Kunstgeschichte eingegangen ist, bleibe die spannende Aufgabe, «ihn als einen der innovativsten und vielseitigsten Künstler der Zeit um 1960 weiter bekannt zu machen, der Themen wie MenschMaschine, Zerstörung und Kreativität, Konsumismus oder Zufall auf eine Weise bearbeitet hat, die sich erneuern und ihre Aktualität behalten.»

Und wenn wir Jeannot kurz um eine Audienz bitten und ihn fragen dürften, was er den Künstlerinnen und Künstlern heute ans Herz legen möchte – was denkt der Kurator, dass er ihnen sagen würde? «Bleibt authentisch, lasst euch nicht instrumentalisieren, bewahrt die Neugierde, wagt alles!»