Kunst und Politik
In Augusta Raurica: «Erhebe Deine Stimme!»

Der mexikanisch-kanadische Künstler Rafael Lozano-Hemmer bringt freie Rede und Politik zurück ins Theater von Augusta Raurica

Mathias Balzer
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«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
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«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
«Voice Theatre» in Augusta Raurica
«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
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«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater
Rafael Lozano Hemmer: Klang- und Lichtinstallation in Augusta Raurica (BL)    

«Voice Theatre» von Rafael Lozano-Hemmer Der mexikanische Künstler Rafael Lozano-Hemmer verwandelt Augusta Raurica in ein Stimmentheater

zvg

Die Freiheit der Rede ist ein hohes Gut, ein bedrohtes und zuweilen gefährliches. Sokrates trank für diese Freiheit vor 2417 Jahren in Athen den Giftbecher. Noch nicht lange her durften wir Zeitgenossen den Traum eines freien, unzensierten Internets träumen, wo Jeder und Jede seine Meinung äussern kann.

Aber die Algorithmen und ihre Steuermänner haben uns eines Besseren belehrt: Die vermeintlich freie Rede ist zum Geschäftsmodell von Facebook, Google & Co geworden. Der Traum freiheitlicher Transparenz droht im Sumpf von Fakenews, Zensur, Datenmissbrauch und Darknet unterzugehen. Aber die freie Rede ist glücklicherweise unabhängig von Technologie. Sie gehört dem Menschen und seinem Körper allein. Er muss nur auf einen Platz stehen und den Mund aufmachen.

Der mexikanisch-kanadische Künstler Rafael Lozano-Hemmer ist ein Spezialist dafür, die Öffentlichkeit aktiv an Kunstwerken teilhaben zu lassen (siehe Kasten). Er entwickelt Situationen im öffentlichen Raum, wo sich Menschen frei äussern können. «Ich schaffe Plattformen für Stimmen, über die ich keine Kontrolle mehr habe», erklärt der 50-jährige Künstler.

Ein Künstler von Weltformat

Rafael Lozano-Hemmer ist 1967 in Mexiko-Stadt geboren. Er lebt und arbeitet in Montreal. Seine gross angelegten interaktiven Installationen werden weltweit in Museen und auf Festivals gezeigt. Er war 2007 der erste Künstler, der Mexiko auf der Biennale von Venedig repräsentierte. Zudem war er 1999 an den Milleniums-Feierlichkeiten in Mexiko-Stadt und 2010 an der Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Vancouver beteiligt. (bal)

Das Haus der elektronischen Künste in Basel und das Theater Augusta Raurica haben Lozano-Hemmer eingeladen, im römischen Amphitheater in Augst eine Installation zu realisieren. Der Künstler hat sich dafür, unterstützt von Historikern und Archäologen, intensiv mit dem römischen Theater auseinandergesetzt.

«Dieses Theater war eine Struktur, welche die Machtverhältnisse in Augusta Raurica spiegelte. Vorne sassen die Priester, Verwalter und Privilegierten. Dann kamen die Bürger und zu hinterst Frauen und Kinder und die Ärmsten», so der Künstler. «Aufgetreten sind hier vor 2000 Jahren die Aussenseiter der Gesellschaft; Schauspieler, Tänzer, Musiker.»

Ein sprechendes Theater

Für seine Installation «Voice Theatre» dreht Lozano-Hemmer die Verhältnisse um. Es ist der Besucher, der das Theater aktiviert. Vor ihm steht in der Mitte des Halbrunds eine Säule, gestaltet wie eine Gegensprechanlage. Er blickt in die Zuschauerränge des Theaters, bestückt mit 51 Lautsprechern und 421 kleinen Scheinwerfern. Er ist aufgefordert zu sprechen. Tut er es, wird seine Stimme aufgezeichnet und ein automatisiertes Stimmentheater in Gang gesetzt.

Von unten nach oben aufsteigend geben die Lautsprecher das Gesagte wieder, es vermischt sich mit Reden, die zuvor jemand gehalten hat und schwillt an zu einem Chor aus Stimmen, Worten und Gesängen. Die Rede wird Teil eines kollektiven Gedächtnisses, eines sprechenden Theaters.

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Die Installation aus der Luft

Die Stimmen wiederum aktivieren die Scheinwerfer, die den gestuften Trichter aus Stein in ein riesiges, golden leuchtendes Zeichen verwandeln. Natürlich ist das am schönsten beim Eindunkeln. Das «Voice Theatre» ist aber auch schon ab 10 Uhr morgens geöffnet.
Start für neues Kulturleitbild

Was wir dem 2000 Jahre alten Theater als Echo überlassen, ist uns grundsätzlich freigestellt. Lozano-Hemmer sagt: «Die Welt kollabiert. Da können und dürfen wir nicht schweigen.» Das Publikum, so der Künstler und die Veranstalter, ist im Speziellen dazu aufgefordert, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was Kultur für jeden einzelnen bedeutet.

Diese Vorgabe hat einen realen politischen Hintergrund. Der Kanton Basel-Landschaft erarbeitet zurzeit ein neues Kulturleitbild. Das «Voice Theatre» in Augst bildet den Auftakt für diesen Prozess. Das Amt für Kultur sieht darin die Chance, breite Kreise zur Teilnahme an der kulturellen Zukunft der Region zu bewegen, und zwar nicht bloss die Deutsch sprechende Bevölkerung. Es werden Führungen in insgesamt 14 Spachen angeboten, darunter auch Arabisch, Farsi oder Tamilisch.

«Rede, damit ich Dich sehe!»

Das antike Theater wird zudem zum Ort, wo Gemeindevertreterinnen, Landfraktionen, Partepräsidenten und Kulturtäter ihre ersten Ideen für ein Kulturleitbild formulieren sollen. Von diesem Startpunkt aus wird es 2019 zehn bis 15 Treffen in den Regionen des Kantons geben, um die kulturellen Bedürfnisse, Ansprüche und Wünsche der Baselbieter möglichst vollständig zu sammeln.

Kunst und Politik treffen sich in dieser Arena der freien Rede. Es ist gut, dass es solche Übungsplätze gibt. Denn seine Meinung zu sagen, ist ein Gebot der Stunde. Angesichts der politischen Stimmung in seiner Heimat, sagte der deutsche Schauspieler Simon Zagermann an der Eröffnung der Installation ins Mikrofon: «Es ist höchste Zeit, dass wir wieder die Fresse aufreissen!» Sokrates formulierte es so: «Rede, damit ich Dich sehe!»

«Voice Theatre» Täglich bis 1. Juli. Augusta Raurica, Augst. www.hek.ch.