Fondation Beyeler
Gauguin-Ausstellung ist ein Paradies aus Farbe und Leinwand

Die Ausstellung über Paul Gauguin in der Fondation Beyeler: Schön ist das Wetter, erotisch sind die Frauen – aber warum wirkt Paul Gauguins Paradies so melancholisch?

Sabine Altorfer
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Paul Gauguins bildnerisches Vermächtnis. «Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?» von 1897/98 betrachtete der Künstler als sein wichtigstes Bild.
4 Bilder
Selbstbildnis mit Palette, ca. 1893/94.
Werke von Paul Gauguin
Paul Gauguins Holzskulptur «Thérèse», 1902.

Paul Gauguins bildnerisches Vermächtnis. «Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?» von 1897/98 betrachtete der Künstler als sein wichtigstes Bild.

Museum of Fine Arts Boston

Es ist eine Ausstellung der Superlative. Von der Fondation Beyeler selber wird Paul Gauguin auf Plakaten selbstbewusst als «einer der grossen europäischen Kulturhöhepunkte des Jahres» angekündigt. Ein starkes Wort. Und Direktor Sam Keller sparte gegenüber den Medienleuten auch nicht mit weiteren Superlativen. Doch bevor wir uns davon den Kopf benebeln lassen, wollen wir schauen.

Zur Begrüssung ist Monsieur Gauguin (1848–1903) selber aufgeboten. Er schaut uns aus seinem «Selbstporträt mit Palette» unter einem blauen Hut und einem dekorativen blauen Mantel recht selbstbewusst an. Der orange-rote Hintergrund lässt ihn leuchten, nur die Hand mit dem dünnen Pinsel scheint seltsam blass – wie unfertig. In einer Vitrine dürfen wir wie eine heilige Reliquie die klappbare Holz-Palette des Künstlers bestaunen. Schwer ist sie und malerisch mit dicken Farbschichten bedeckt. Und an der Wand wird uns als Leitidee von Gauguins Leben ein Zitat des Künstlers mit auf den Weg gegeben: «Ich nehme meine Farben und Pinsel mit und will fern von allen Menschen neue Kraft schöpfen», schrieb er 1887 an seine Frau.

In der wilden Bretagne

Wir reisen mit ihm 1886 an den ersten Ort, wo der einstige Börsenmakler und nicht eben erfolgreiche Künstler die dekadente Zivilisation von Paris hinter sich zu lassen hoffte. In die Bretagne, die als zurückgeblieben, urtümlich und von Volksfrömmigkeit durchdrungen galt. In Port-Aven traf Gauguin gleichgesinnte Künstler – rundum aber doch Landschaften und Menschen, die ihn zu bewundernswerten Bildfindungen antrieben.

Drei Gemälde seien hier herausgepickt. Ein Christus am Kreuz packt unsere Aufmerksamkeit: Der Körper aus hellem Schwefelgelb, dünn, lang gestreckt dominiert das Bild vor einer zündendgelb-roten Landschaft. Als dunkle Basis sind unter dem Kreuz Frauen in bretonischer Tracht ins Gebet vertieft. Sie treffen wir wieder in «Der Vision der Predigt», wir schauen über ihre reinweissen Hauben und Köpfe und einen schiefen Baumstamm hinweg auf eine blutrote Fläche, wo Jakob mit dem Engel kämpft. Mutig sind die farbigen Flächen gesetzt, aufmüpfig ist hier bereits die Farbgebung von der Naturerscheinung entfremdet und eigenwillig die Vorstellung der Darstellung vorangestellt.

Das seltsamste Werk aber schuf Gauguin mit dem «Verlust der Unschuld». Eine weisse nackte Frau liegt da in freier Natur – erinnert an Darstellungen des toten Christus und wirkt trotz ihrer Starre auch verführerisch. Neckisch blinzelt ein Füchslein hinter ihrer Schulter hervor, derweil die Dünen im Hintergrund sich als purpurner und grüner Streifen unheimlich in seiner dunklen Kraft über die ganze Bildbreite zieht. Beunruhigt steht man davor – und spürt die Unruhe des Schöpfers dahinter.

Über alle Grenzen

Denn nicht nur künstlerische, sondern auch gesellschaftliche oder moralische Grenzen wollte der offensichtlich Getriebene für sich nicht gelten lassen. Er träumte von sich als Indianer und von einem urtümlichen, erfüllten Leben. Diese Unrast und der Traum vom Paradies trieben ihn 1891 nach Tahiti. Auch wenn er mit der Abreise in die ferne Kolonie seine eben hoffnungsvoll beginnende Karriere aufs Spiel setzte.

Wärme, üppige Vegetation, schöne Frauen: Sie fand Gauguin. Das tropische Paradies aber musste er selber erfinden, denn die exotisch-erotische Inselwelt war längst kolonialisiert. Aus dem was an Urtümlichkeit noch da war, was er aus den Mythologien und über die Naturreligionen erfuhr und aus einem Fundus an Fotos von südamerikanischen oder ägyptischer alter Kunst kannte, puzzelte sich Gauguin seine eigene Welt. Ein Paradies aus Farbe und Leinwand.

Das Leben auf bunten Teppichen

Paul Gauguin schien sich auf Tahiti zuerst einen Überblick verschaffen zu wollen: «Der grosse Baum» lässt uns einen Blick auf eine Hütte erhaschen und bietet Frauen Schatten. «Schwarze Schweine» spazieren durch eine üppige Landschaft, in der Frauen träumen, ein Pferd weidet und die Palmen reiche Ernte versprechen. Der erste distanzierte Künstlerblick weicht bald dem neugierigen Männerblick. Die Schönheit der jungen Frauen, ihre unschuldige Nacktheit, der Duft ihrer Blumen im Haar oder die Farbe ihrer Hüfttücher werden zum wichtigsten Thema. Das spielt Gauguin in Variationen durch, mal als Doppelbildnis, mal als Vielfigurenfries. Die Landschaft ist nur noch selten perspektivisch in die Tiefe gestaffelt, oft reduziert sie Gauguin zu einem Farbenteppich, in dem ornamentale Flecken die Vegetation andeuten.

Ist es das Glück, das er suchte? Nein. Denn wie ein Schleier liegt Melancholie über den stillen Gesichtern. Gauguin führte ein Leben zwischen Verarmung, Verzweiflung, künstlerischer Nichtbeachtung, Alkohol und Krankheit. Im Fieber malte er sein grosses Vermächtnis «Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?». Kein leuchtendes Rot, kein süsses Rosa findet sich in diesem friesartigen Stationenbild. Einzig die Körper leuchten warmbraun.

Die Superlativee

Mit 43 Gemälden und 8 Skulpturen ist die Schau in der Fondation Beyeler überschaubar. Aber es ist dem Museum gelungen, viele Meisterwerke aus aller Welt zu bekommen. Es ist, so Direktor Sam Keller, nicht nur die Ausstellung mit der längsten Vorbereitungszeit (6 Jahre), sondern auch mit der höchsten Versicherungssumme (2,5 Milliarden Franken) in der Geschichte der Fondation. Hier hängt auch das momentan teuerste Bild der Welt («Nafea», das der Basler Rudolf Staechelin Family Trust für 300 Millionen Dollar nach Katar verkaufte, wie vorgestern bekannt wurde).

Als Premiere bezeichnete Keller den multimedialen Vermittlungsraum mit raffinierten, interaktiven Spielereien und kündigte eine via spotify und soziale Medien verbreitete Klangschiene «#GauguinSounds» an. Und weiter: Gauguin habe ein rekordhohes Medienecho ausgelöst und werde trotz einem um drei Franken erhöhten Eintritt einen Besucherrekord bringen. Dafür sei die Fondation gerüstet, versprach Sam Keller: Mit Online-Tickets, zwei Katalogen, Audioguides selbst für Kinder, aber auch mit mehr WCs, Garderoben und Shops.

Paul Gauguin Fondation Beyeler, Riehen. 8. Februar bis 28. Juni.