Perfromance festival
Die Grenzen der Online-Kunst – ausgerechnet in Coronazeiten

Das schweizweite Performance-Festival Act findet online statt. Das Resultat ist interessant, aber flach wie ein Bildschirm.

Mathias Balzer
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Kunst aus dem Homeoffice
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Elisa Bruder Schau mal
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Kunst aus dem Homeoffice

bz

Es gab eine Zeit, da standen Bild und Skulptur im Zentrum der Kunsterfahrung. Diese Hoheit haben sie längst eingebüsst. Mit der Performance wurde der Künstler zum Akteur. Seit den Sechzigerjahren haben die Performer die Kunstwelt in Bewegung gebracht, die Grenzen zwischen Kunst, Theater, Tanz, Video und Rauminstallation wurden fliessend.

Die Live-Performance gewinnt viel von ihrer urtümlichen Kraft durch die gemeinsame Präsenz von Künstler und Zuschauer in einem Raum. Wie im Theater geht es dabei um die reale Begegnung, um das kollektive Teilen einer Erfahrung.

Wenn nun auch in der Kunst Versammlungsverbot herrscht, liegt der Versuch nahe, solche Formate ins Digitale zu retten. Kunst aus dem Homeoffice sozusagen. Weltweit versuchen Theaterhäuser ihr Publikum trotz Lockdown noch irgendwie zu erreichen. Auch die Künstler experimentieren mit Online-Formaten, da ihnen schlicht nichts anderes übrig bleibt. Auch das schweizweite Performance-Festival ACT versucht, Kunst ins digitale Erlebnis zu retten

Experimente aus dem Homeoffice

Seit 2003 bieten die Schweizer Kunsthochschulen ihren Studentinnen und Studenten jährlich eine Plattform, um Performances zu zeigen, sich auszutauschen, Workshops zu veranstalten. Dieses Jahr sind die Arbeiten ausschliesslich im Netz zu sehen. Zwischen dem 15. April und dem 15. Mai werden 44 Performances gestreamt. Ein Stückchen der analogen Verbindlichkeit retten die Veranstalter dadurch, dass die Shows nur live zu bestimmten Zeiten zu sehen sind, immer abends ab 19 Uhr.

Der Basler Choreograf und Tänzer Allessandro Schiattarella zeigte da beispielsweise sein «Tutorial». An einem Tisch sitzend, mit beckettscher Blindenbrille, eine Hand zur Faust eingebunden, demonstriert er, wie das Leben trotz Behinderung funktionieren kann. Einhändig öffnet er unter Einsatz seines Körpers eine Wasser- oder eine Medizinflasche, klaubt den Deckel von einem Joghurt, schält eine Karotte, kappt sich die Fingernägel (wirklich ein Kunststück!), schneidet Brot, entkorkt eine Weinflasche.

Mustafa Asam aus Zürich bedient das Format eines Youtube-Kochs und bereitet einen Salat zu. Was das mit dem Titel der Performance zu tun hat, erklärt sich erst am Schluss. «Weshalb ich meinen Namen geändert habe» bezieht sich auf den Namen des Salats, landläufig Zigeunersalat. Heute müsste er Roma-Salat heissen.

Aus der Hochschule für Kunst und Design HEAD in Genf war das Video von Emi Curty zu sehen. Sie zeigt zwei Filme gleichzeitig. Im kleineren rasiert sich eine Frau auf dem Badewannenrand sitzend – vermeintlich – die Beine, die Achselhöhlen, die Oberschenkel. Das zweite Bild offenbart, dass der kleine Apparat in ihrer Hand nicht rasiert sondern hochaufgelöst filmt. Der Betrachter wird in eine unbekannte Landschaft hineingeführt, wo schwarze Gräser aus einem vertrockneten Boden spriessen. Eine zuweilen etwas unheimliche Nahaufnahme eines menschlichen Körpers.

Mit Perspektivenwechsel experimentiert auch Elisa Bruder von der Zürcher Hochschule der Künste. Ihr Video zeigt, wie sich eine Frau in einem engen Privatbüro tänzerisch bewegt, trinkt, einen Apfel ist. Interessant wird das deshalb, weil die Kamera an der Decke montiert ist. Die ungewohnte Perspektive zeigt auf, wie relativ unsere Wahrnehmung, je nach Standort des Betrachters eben ist.

Das Resultat bleibt unverbindlich

Die jungen Künstlerinnen und Künstler präsentieren eine breite Palette davon, was in einer Live-Video-Performance, gesendet aus dem Homeoffice, möglich ist.))) Die beschriebene Auswahl zeigt, dass dabei bei vielen die Körpererfahrung und die Wahrnehmung zentrale Themen sind. Das wirft ein interessantes Schlaglicht auf derzeitige Strömungen an den Kunstschulen, zeigt aber auch die Grenzen des Digitalen auf.

Performances sind oft schwer entschlüsselbare Rituale. Sie spielen, anders als narrative Formate, mit der Erfahrung des Ungewohnten. Als Live-Act zwingen sie den anwesenden Zuschauer durch die reine Präsenz des Performers zu einer respektvollen Teilnahme. Am Bildschirm fällt diese räumliche Präsenz weg. Während der Live-Zuschauer schon etwas Mut aufbringen muss, die Aufführung zu verlassen, reicht digital der schnelle Klick. Zum Glück müssen wir nicht in alle Ewigkeit mit dieser Unverbindlichkeit leben. Bald gibt es sie wieder: die unersetzbare Energie des Live-Erlebnisses.

ACT Performance Festival: Täglich bis 15. Mai. https://act-perform.net.