Das 19. Jahrhundert ist out – warum eigentlich? So brav, wie wir meinen, war es doch gar nicht.
Das Januarwetter ist keine Freude: Es luftet gewaltig, die Wolken scheinen uns erdrücken zu wollen und der graue Himmel droht mit dem nächsten Regenguss. Da gehen wir doch gerne ins Museum. Aber Achtung! Im Aargauer Kunsthaus gerät man im Moment vom Regen in die Traufe. Auch dort ächzen die Bäume im Sturm, regnet es in Strömen, drohen Überschwemmungen. Denn der Landschaftsmaler Adolf Stäbli (1842–1901) liebte Wetterkapriolen, war geradezu süchtig nach Gewittern.
Doch schütteln uns diese stürmischen Winde aus dem 19. Jahrhundert noch durch? Oder haben uns die Expressionisten und Impressionisten, die Fotografen und Filmer seither mit ihrer imposanteren Feier der Naturgewalten nicht den Blick auf diese vermeintlich brave, weil naturalistische Malerei verstellt? Wohl schon. Denn ein Blick in die Museumslandschaft zeigt: Das 19. Jahrhundert ist im Moment out, dafür feiert der opulente Barock ein Revival und man zelebriert vor allem die Pioniere des frühen 20. Jahrhunderts.
Museen müssen sich aber nicht diesen Moden unterwerfen und dürfen ruhig mal in ihr Depot steigen. In Luzern machte man das jüngst mit Robert Zünd (1827–1909), im Aargau nun mit Adolf Stäbli. Ob Solothurn mit Frank Buchser (1828–1890) und Otto Frölicher (1840–1890) oder Basel mit Arnold Böcklin (1827–1901) nächstens nachziehen? Diese Malergrössen sind vermeintlich lokale Helden. Das zumindest darf man als Wahrnehmungs-Trugschluss bezeichnen. Die Alltagswelt war im 19. Jahrhundert vielleicht noch kein globales Dorf, aber die Kunstwelt doch ein internationales Geknäuel.
Adolf Stäbli reiste nach Italien (das war ihm zu wenig grün und zu wenig dunkel), nach Paris (wo sich die Erfolge nicht einstellen wollten) und wurde dann in der damals tonangebenden, dunklen Münchner Schule heimisch und in der deutschen Kunst zur Grösse (wie auch Böcklin und Frölicher). So finden sich in Stäblis Werk die Aare neben dem bayrischen Ammersee, Stürme über dem Kloster Fahr neben Überschwemmungen bei München.
Die geografische Verortung ist bei Stäbli aber eher zweitrangig. Denn er war primär ein Maler seiner Zeit. Einer, der auf Anschauung und Emotionen vertraute und das in seinen Naturbildern zu vermitteln trachtete. «Meine Malerei ist Erlebnis, nicht Erfindung», soll er gesagt haben. Das Zitat hat Kurator Thomas Schmutz als Leitmotiv über die Ausstellung gestellt.
Man könnte Stäbli auch unter dem Motto «von Buchen und Birken» zeigen. Seine Bilder ohne Bäume? Undenkbar! Mit ihnen staffelt er die Kompositionen in die Tiefe, durch die Blätter kann er den Wind sausen und die Stämme vom Sturm krümmen lassen. Sie bilden das bewegte Pendant und den dunklen Untergrund zu den bauschigen Wolken. Und kahle Stämme wirken wie mahnende Skelette.
An Bäumen und Wolken sehen wir Stäblis stilistische Bandbreite. Mal sind die Blätter fein getupft, mal die Kronen flächig aufgetragen; die Wolken schichtig angelegt oder mit wilden Pinselhieben auf die Leinwand gebracht. Die Qualität von Stäblis Werk sei recht disparat, sagt Thomas Schmutz. Das lässt sich mit Krisen und starken Phasen des Malers erklären. Denn Technik und handwerkliches Können waren nach den Lehrjahren stupend und eigenständig. Das zeigen auch die Skizzenbücher und Zeichnungen mit seinen Baumstudien. Hier erprobte Adolf Stäbli nicht nur Details, sondern vor allem, wie Bäume zu Sinnbildern werden. Wie sie Sturm und Januarwetter trotzen und so Kraft wie Vergänglichkeit symbolisieren. Oder auch Modeströmungen der Kunstgeschichte überstehen.
Adolf Stäbli «Meine Malerei ist Erlebnis, nicht Erfindung». Aargauer Kunsthaus, bis 12. April. Vernissage: Fr, 23. 1., 18 Uhr. Gleichzeitig im Kunsthaus: Miriam Cahn.