Verleihung
Die Baselbieter Kulturpreise gehen an Gina Haller, Max Küng und Reto Pulfer

Dieses Jahr vergibt das Amt für Kultur des Kantons Baselland Preise in den Sparten Theater, Literatur und Kunst. Die bz veröffentlicht die Laudationen auf die Preisträgerin und zwei Preisträger.

bz
Drucken

Die jährlich vergebenen Kulturpreise Baselland variieren in den Sparten. Wurden vergangenes Jahr zwei Musiker, eine Tänzerin und ein Künstler für ihr Schaffen ausgezeichnet, so sind es mit Gina Haller, Max Küng und Reto Pulfer heuer eine Schauspielerin, ein Autor und ein Künstler. Haller und Pulfer stammen ursprünglich aus Arlesheim, Küng aus Maispach.

Laudatio auf Gina Haller (Spartenpreis Theater 2022)

Sie ist Wegbereiterin für die Unsichtbaren und Unerhörten: Gina Haller, Jahrgang 1987.

Sie ist Wegbereiterin für die Unsichtbaren und Unerhörten: Gina Haller, Jahrgang 1987.

zvg/Ina Schoenenburg

«Wir ebnen die Wege!», sagte mir die diesjährige Preisträgerin des Spartenpreises Theater. Der Preis geht an eine, die mit ihrer Arbeit auf der Bühne und auf der Leinwand in der Tat den Weg ebnet für die Unsichtbaren, für die Unerhörten, für die ungesehenen Frauen, die sich – wie sie – nicht einschüchtern lassen. Die Schauspielerin Gina Haller wird zu einem Vorbild und einer Ermutigung, sich auch in der Theaterwelt für Diversität jenseits festgefahrener Rollenbilder einzusetzen.

Den Spartenpreis Theater erhält also dieses Jahr eine junge Frau, deren Spiel eine fast atemraubende Dringlichkeit innewohnt: explosiv, feinsinnig, wandelbar, wunderschön, überraschend, selbstbewusst, manchmal auch gezeichnet. Gina Hallers Weg liest sich ein wenig wie ein Drehbuch, oder einfach wie das Leben: Sie wächst in Arlesheim auf, geht in Münchenstein zur Schule, als Jugendliche will sie «weg aus der aufgeräumten weissen Schweiz». Gina Haller geht mit 18 zu ihrem Vater nach Paris, findet dort Menschen, die eine ähnliche Geschichte haben wie sie. Ihr Verhältnis zu ihrer Heimat bleibt bis heute ambivalent.

Gina Haller gewinnt den Spartenpreis Theater.

Video: Kanton BL

In Dornach und dann am Theater Basel steht sie als Jugendliche zum ersten Mal auf der Bühne; danach kehrt sie dem Theater den Rücken zu. Sie lebt sieben Jahre lang in Paris, 2009 schafft sie die Aufnahme in die Classe Libre am Cours Florent. Danach studiert sie in Bern, pendelt jahrelang zwischen beiden Hauptstädten, 2015 erhält sie ihr Erstengagement. Seit der Spielzeit 2018/2019 ist sie Ensemblemitglied am Schauspielhaus Bochum. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, sie ist Nachwuchsschauspielerin des Jahres 2020, arbeitet mit illustren Theater- und Filmregisseur*innen zusammen. Zu ihrem unerwarteten, riesigen Erfolg sagt sie: «Das war nicht meine Absicht, ich wollte gar kein Theaterstar werden, ich wollte einfach nur arbeiten!»

Liebe Gina, in deinem Blick sehe ich das Urvertrauen einer, die immer wieder mutterseelenallein dastand, aber nie aufgegeben hat; ich sehe den Willen einer débrouillarde, die ihren Weg auch in den prekärsten Zeiten weitergegangen ist. Mich berührt die Intensität, mit der du auf der Bühne einen Teil von dir selbst preisgibst. Als würdest du durch das Spielen einer oder eines anderen noch sichtbarer, noch verletzlicher; stolz, aber bescheiden; vielseitig, aber konsequent. Dabei bleibst du – so scheint es mir – immer integer. Deinem Weg und deiner Arbeit gebührt unser grösster Respekt. Und so ist dein Preis auch ein Appell an uns alle, für eine Kultur des Miteinander und für eine Gesellschaft ohne strukturelle und alltägliche Diskriminierung einzustehen.

«Es braucht mehr!», sagte Gina Haller im Gespräch zu mir. Mehr Menschen mit Migrationshintergrund in sichtbaren Positionen, mehr Selbstverständlichkeit, mehr Mut, mehr Vorbilder. Du bist eines davon, liebe Gina, und ich freue mich von Herzen, dir im Namen des Kulturrats zu diesem Preis aus deiner Heimat zu gratulieren!

Abélia Nordmann

Laudatio auf Max Küng (Spartenpreis Literatur 2022)

Er beobachtet die Welt mit grosser Sensibilität und Aufmerksamkeit: Max Küng, Jahrgang 1969.

Er beobachtet die Welt mit grosser Sensibilität und Aufmerksamkeit: Max Küng, Jahrgang 1969.

zvg/Joel Sames

Max Küng zeichnet sich durch ein eklektisches Schreiben aus, er ist gleichzeitig Reporter, Kolumnist und Schriftsteller. Seine Laufbahn folgt keinen akademischen Vorschriften, er erlebt verschiedene Welten, die ihn prägen und in seinem Schreiben reflektieren: die Kindheit in Maisprach, wo er die Nähe zur Natur erfährt, danach eine kaufmännische Ausbildung in Basel, die journalistische Schule. Dann die Gelegenheit, als Kolumnist beim Magazin zu schreiben: eine Beziehung, die weitere literarische Abenteuer inspiriert. Max Küng hat sein professionelles Zuhause gefunden.

Durch die vielen verschiedenen Erfahrungen hat sich eine bunte Palette von Zutaten angesammelt, die jetzt sein Schreiben so unverwechselbar machen: Er beobachtet die Welt mit grosser Sensibilität und Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge, mit einer subtilen Melancholie und einem trockenen Humor, welcher häufig unvermittelt auftaucht und oft die wahre Rettung ist.

Max Küng gewinnt den Spartenpreis Literatur.

Video: Kanton BL

Max Küng will kommunizieren. Die positive Ausstrahlung seiner Texte lässt seinen Leser mitten ins Leben tauchen, so wird man zu einem zahnärztlichen Besuch mitgenommen, nach Italien in die Ferien. Den Protagonisten wird erlaubt, sich in Gedanken zu verlieren, ohne Scham über die Sehnsucht nach dem Weinkeller des Nachbarn, über absurde Wünsche zum Geburtstag (über Hämorrhoiden zu schreiben). Damit befreit er auch den Leser, der sich in den Texten wiederfindet.

Max Küng sieht Situationen des täglichen Lebens durch eine ironische, poetische Linse, die wichtige Details sichtbar macht. Es sind Miniaturen mit grösseren Andeutungen, farbige Reportagen eines Augenblicks, erzählt in einer poetischen Sprache.

Lieber Max, es ist eine Bereicherung und ein Genuss, deine Zeilen zu lesen, dafür möchten wir dir ganz herzlich danken! Auch heute wird mal ein «früher» sein und ich hoffe, du wirst dann mit Freude auf diesen Tag zurückblicken. Du liebst aber die Gegenwart, das Jetzt des Lebens, und ich freue mich jetzt, im Namen des Kulturrats, dir den Spartenpreis Literatur 2022 zu überreichen. Viel Erfolg für deine Zukunft!

Paola De Piante Vicin

Laudatio auf Reto Pulfer (Spartenpreis Kunst 2022)

Er arbeitet mit einer immensen Vielfalt von Techniken und Materialien: Reto Pulfer, Jahrgang 1981.

Er arbeitet mit einer immensen Vielfalt von Techniken und Materialien: Reto Pulfer, Jahrgang 1981.

zvg/Joel Sames

Im Alter von 18 Jahren beschliesst Reto Pulfer, Künstler zu werden, und zieht kurz darauf in ein Atelier in Münchenstein ein. Er wählt dabei nicht den klassischen Weg über eine Kunstschule, sondern erweitert sein Können als Autodidakt durch die praktische Arbeit. Dabei interessieren ihn die verschiedensten Formen von Kunst, von Malerei und Installationen über Performances bis zur Musik oder Literatur. Immer wieder schafft er Bezüge zwischen diesen Gattungen und verschmelzt in seinen Werken die unterschiedlichsten Ausdrucksformen. Reisen nach Indonesien, Thailand, Singapur und Japan bilden weitere Inspirationsquellen.

Reto Pulfer ist ein «Allround-Künstler», der sich nicht in einer Kunstgattung festmachen lässt, auch wenn er immer wieder komplexe Installationen erschafft. Gepaart sind sie oft mit Performances, Konzerten oder Texten. Rund acht Jahre schreibt er an seinem Roman «Gina», einer dystopischen Erzählung mit Pflanzen und Mischwesen, welche die Welt übernommen haben. Er entwickelt eine eigene Sprache mit zahlreichen neuen Begriffen und Sprechweisen der Protagonisten. «Gina» taucht auch bei seinen Installationen oder Performances wieder auf, Teile aus seinem Buch werden zitiert und das Verständnis für seine Werke ist an diese Geschichte gebunden.

Auffällig ist seine immense Vielfalt von Techniken und Materialien. Er verwandelt Räume mit Textilien und inszeniert darin ganze Landschaften, begleitet von musikalischen Auftritten. Daneben sind aber auch kleinere Werke aus Keramik zu finden. Zur Zeit setzt er sich mit Botanik und der Natur auseinander, die ebenfalls Eingang in seine Kunst findet.

Reto Pulfer gewinnt den Spatenpreis Kultur.

Video: Kanton BL

Die meist grossen Inszenierungen bringen es mit sich, dass er auf der ganzen Welt aktiv ist. Es zieht ihn dorthin, wo ein Grossprojekt stattfindet, welches ihm die Möglichkeit gibt, sich entsprechend zu präsentieren. So hat er unter anderem Einzelausstellungen im Istituto Svizzero di Roma, Sede di Milano (2011), im Swiss Institute, New York (2013) oder im Kunstverein in Nürnberg (2013) präsentiert. Weitere Stationen sind das Centre d’art contemporain, Genève (2015), das Musée régional d’art contemporain Languedoc-Roussillon, Sérignan (2015), Spike Island, Bristol (2015), das Centre international d’art et du paysage, Île de Vassivière (2016), das Fórum Eugénio de Almeida, Évora (2016) oder im vergangenen Jahr die Hollybush Gardens Galerie in London.

Seine Installationen und Projekte leben davon, dass Reto Pulfer immer ganzheitlich denkt und die verschiedensten Ausdrucksformen von Kunst miteinander verbindet. Das Publikum ist nicht nur Betrachter, sondern taucht in eine Welt voller Erlebnisse ein und wird mit allen Sinnen eingefangen, um sich damit auseinanderzusetzen. Trotz der grossen Dimensionen seiner Arbeiten kümmert er sich um jedes Detail, fängt alles auf, was sich in seiner Umgebung tut und integriert es in seine Arbeit.

Inhaltlich beschäftigt sich Pulfer immer wieder mit dem Begriff des «Zustands». Dabei geht es nicht um ein statisches Festhalten, sondern eher um das Bewusstwerden über einen Zustand. So dokumentiert er in seinen Werken verschiedene Zustände und Werketappen, welche dessen Entwicklung aufzeigen und die Phasen von der Vorbereitung bis zum Abschluss eines Werks oder einer Ausstellung nachvollziehbar machen.

Reto Pulfer hat seinen Wohnsitz mit seiner Familie mittlerweile nördlich von Berlin auf dem Land, wenn er nicht ohnehin unterwegs ist, und trotzdem seinen Bezug zur Region Basel nicht verloren. Zwar bringen es die Dimensionen seiner Installationen und Werke mit sich, dass er sich nach den gebotenen Möglichkeiten und Orten richten muss, doch ist er trotzdem immer wieder in der Region zu sehen, wie an den Statements der Art Basel oder bei den Swiss Art Awards in Basel. Reto Pulfer bildet einen Leuchtturm, der aus dem Baselbiet stammend in die Welt hinaus strahlt.

Dominique Mollet