Der britische Keramik-Künstler widmet sich zum 125-Jahr-Jubiläum der Roche der Vergänglichkeit des Lebens.
Auf den ersten Blick wirken die kleinen Keramikformen im riesigen Raum des Museum Tinguely etwas verloren. Sie stehen auf feinen Sockeln gleich neben dem Museumseingang: clean, aber auch etwas langweilig, ist man zu denken versucht. Normalerweise stelle er ja eher in kleineren Museen aus, sagt später auch Paddy Hartley.
Dabei stellt der britische Künstler immer wieder in renommierten Institutionen auf der ganzen Welt aus. Für Prominente wie Lady Gaga oder Georgia May Jagger hat er massgeschneiderte Kreationen entworfen: Halsbekleidung, aber auch Gesichtskorsette, die wie Folterinstrumente anmuten. Ganz anders seine Kunst in der Jubiläumsausstellung zu 125 Jahren Roche, die Hartleys Werk zum ersten Mal in die Schweiz bringt und vor allem seine Arbeiten aus Keramik zeigt.
Wer genau hinschaut, entdeckt schon bald deren Schönheit: Gebilde mit filigranen Mustern, mal glänzend kristallen, mal steinig und trocken. Es sind Formen und Strukturen, die unweigerlich an die Natur erinnern: an Tiere, an Landschaften, an Gesteine. In ihrer unscheinbaren Zartheit sind Hartleys Kunstwerke trügerisch. Sie wirken derart harmlos, dass sie in der Masse untergehen würden.
Erst der Blick auf die Materialien, auf die Entstehungsgeschichte der Werke lässt uns ihre Tiefe erkennen. «The Cost of Life» heisst Hartleys Ausstellung. Sie zeigt uns die Vergänglichkeit des Lebens auf, lässt das Publikum eintauchen in die Welt von Krankheit, Medizin und Tod – und hat damit einen einst ungewollten, nun aber schmerzlich unmittelbaren Bezug zur Gegenwart.
Die Schicksale von Patientinnen und Patienten beschäftigen den Künstler seit jeher. In der Vergangenheit faszinierte ihn vor allem die Gesichtsrekonstruktion, die Herstellung von Gesichtsimplantaten für Unfallopfer. So gross seine Bewunderung für die wissenschaftlichen Errungenschaften, so gross ist seine Abneigung gegenüber deren Aneignung durch die Beautyinsdustrie, der «Cinderella surgery», wie er sie nennt.
Mit der Pandemie hat sich aber auch Hartleys Kunst weiterentwickelt.«HypoTrypanoPharmAlethephobia» heisst eines seiner Kunstwerke, oder auch «The Frustration of the Virologist». Es besteht aus schlangenähnlichen Skulpturen mit Nadelspitzen, die sich bedrohlich aufbäumen. Hartley, der als Sohn einer Impfgegnerin als Schulkind zum Aussenseiter wurde und heute doppelt geimpft ist, hat seine Schlangenwesen der Covid-Impfung gewidmet, diesem Erfolg der Wissenschaft, der zum Frust von Virologen und Wissenschaftern von einigen geächtet statt geschätzt wird.
Andere Werke sind in ihrer Machart direkter, erschütternder. Die Fotografien, die wie Rorschachtests mit dunkelroter Tinte aussehen, aber sorgfältige Lammherz-Arrangements sind. Genau wie die Mohnblumen, für die Hartley Lammherzgewebe und Pferdehaar aneinander genäht hat und die sich in einem öffentlichen Verwesungsprozess langsam zersetzen. Wesentlich komischer sind die Hüftgelenk-Implantate, die als heilige Kreuze an der Wand hängen.
So unterschiedlich Hartleys Arbeiten auch sind, etwas haben sie alle gemein: Ekel und Anziehung, Witz und Betroffenheit, Glaube und Wissenschaft sind keine Gegensätze, sondern nur Schattierungen der Faszination für die Vergänglichkeit. Wie absurd komisch das sein kann, zeigt übrigens Hartleys Ausstellung im Pharmaziemuseum, die zeitgleich stattfindet – auch hier sind Überraschungen garantiert.
Paddy Hartley: The Cost of Life
Museum Tinguely und Pharmaziemuseum, bis zum 23. Januar 2022.