Andreas Neeser hat seinen neunten Lyrikband veröffentlicht. «Nachts wird mir wetter» ist ein leichtfüssiges Nachdenken über das eigene Ich und seine Endlichkeit. Dafür findet der Autor auch mal freche Worte.
Seine Namen lauteten «Gwaggli», «Lappi» und «Tubel», die «ehrliche Haut» sei er aber auch. So stellt sich Andreas Neeser in seinem neusten Buch vor. «Nachts wird mir wetter» ist der Titel des 80 Seiten umspannenden Lyrikbandes. Dieser erscheint nur wenige Wochen nach dem Kinderbuch, das der Autor gemeinsam mit seiner neunjährigen Tochter geschrieben hat.
Mit «Nachts wird mir wetter» ist Andreas Neeser bei sich. Die Frage, wer dies ist oder sein soll, ist mit diesem einen Gedicht «Alle meine Namen» nicht abgehandelt. An verschiedenen Stellen wird sie aufgegriffen, wie ein loser Gedanke, der einen nie recht loslässt. «Ich heisse / behördlich geprüft und beglaubigt / fürs Leben identifiziert.» Vom «Ich» kreist der Gedanke weiter, greift in die Umgebung, zu den Nachbarn, den Freunden, zur eigenen Frau und den Kindern, deren Namen dem Ich-Erzähler manchmal entfallen. An den Menschen vorbei gleitet der Blick nach draussen, in den Obstgarten zu den Bäumen, wo es kreucht und fleucht, oder nach oben in den Himmel, wo der Hochnebel drückt, nur um wieder zurück zum Innern zu finden: «Denn ich lebe von aussen nach innen / entwettert, entstirnt / überwächst mich in Schichten so etwas wie sphärische Haut.»
Vier Kapitel sortieren die Gedichte nach ihrer Form, die mal experimenteller ist, mal sich stärker an klassische Schemata hält. Wobei die Worte von Kapitel zu Kapitel dünner gesät sind. Beginnt der Band in erzählerischem Tonfall, dem man fast wie einem Roman folgen kann, kondensieren die folgenden Verse die Gedanken auf wenige Zeilen.
«Nachts wird mir wetter» ist Andreas Neesers neunter Lyrikband. Fünf Romane hat der Vielschreiber veröffentlicht, allein 2020 erschienen «Wie wir gehen» und «Alpefisch». Bei Letzterem überraschte der Autor mit der gelungenen Versuchsanordnung, den eigenen Debütroman nach 25 Jahren aus neuer Perspektive und auf Mundart neu zu schreiben. Andreas Neeser wurde 1964 in Schlossrued geboren und lebt mit seiner Familie in Suhr bei Aarau. Er kommt also aus einem Kanton, dem man den Dialekt nicht gleich eindeutig anhört wie Bern oder Graubünden. Dennoch beschäftigt sich der Germanist und Deutschlehrer stark mit der Mundart, neben «Alpefisch» veröffentlichte er drei weitere Bände mit Mundartprosa beim Zytglogge Verlag.
Auch in seinen neusten Gedichten zeigt sich seine Faszination für die Sprache seiner Kindheit, die knistert und «chrüschelet». Wie sollte man auch so herrlich treffende Begriffe wie das «innerschte Gjätt» übersetzen, wo fände man im Hochdeutschen die «gläuffige Schueh – für wieder hei»? (Bei komplettem Unverständnis hilft ein Glossar.) Die zweite, erwachsene Sprache passe ihm zwar gerade so «wie Hemd und Hose», schreibt Neeser, und doch beweist er mit dem mühelosen Wechselspiel zwischen Schriftdeutsch und Mundart, dass ihm beides gut auf der Zunge liegt.
Andreas Neeser findet so in «Nachts wird mir wetter» eine selbstverständliche Sprache für etwas, das er selbst kaum zu fassen kriegt. Es ist eine neugierig forschende Annäherung an die eigene Identität. Gleichzeitig ist es aber auch ein Loslassen des eigenen Ichs.
Während Andreas Neeser das Leben in sinnlichen Bildern, in Gerüchen und Geschmäckern schildert, konfrontiert er sich mit seiner Endlichkeit. Da wird der Körper hölzern, die Blätter modrig und die Tage randlos. Manche Enden sind grausam. Was zum Beispiel, so lautet eine Frage gleich zu Beginn des Bandes, tut man mit einem verlebten, verendenden Käfer? Das kleine Kind zertritt die knackenden Panzer und versucht dabei an Eiscreme zu denken: «In Wahrheit, so sehe ich das heute, empfand ich das Töten wie Sterben.» Manchmal wird das Ende friedlich von sanften Böen davongetragen und manchmal kommt es frech um die Ecke, wenn herzhaft ins Gras gebissen wird – «dem Leben zum Trotz.»
Andreas Neeser. Nachts wird mir wetter. Haymon Verlag, 2023. 80 Seiten. Live: 3. Mai, Schulhaus Vinci, Suhr. 18. bis 21. Mai an den Solothurner Literaturtagen.