In mindestens zehn Provinzen kommt es in diesen Tagen in China zu flächendeckenden Stromausfällen. Fabriken stehen still, Ampeln fallen aus und Menschen erleiden schwere Vergiftungen.
Nachdem in einer Stahl- und Eisengiesserei im nordostchinesischen Liaoning ohne Vorwarnung der Strom abgedreht wurde, mussten sich am Montag 23 Menschen wegen starker Gasvergiftungen ins Krankenhaus einliefern lassen. Auch unzählige Nutzer auf sozialen Medien berichten von Kohlenmonoxid-Vergiftungen, nachdem in ihren Häusern mitten in der Nacht die elektrischen Abgasanlagen ausfielen.
In mindestens zehn Provinzen kommt es in diesen Tagen in China zu flächendeckenden Stromausfällen. Zunächst traf es vor allem Fabriken, die ihre Produktion einstellen mussten. Mehrere Zulieferer von Apple und Tesla im ostchinesischen Kunshan haben ihre Fabrikproduktion bis mindestens Freitag suspendiert, was laut der japanischen Publikation «Nikkei Asia» die Herstellung von iPhones bedrohen könnte.
Auch in sozialen Medien lassen sich die Folgen des Strommangels beobachten: Läden begrüssen ihre Kunden bei Kerzenlicht, Shoppingcenter schliessen früher als sonst, Büros im tropischen Süden des Landes verzichten weitestgehend auf Klimaanlagen und in der Provinz Guangdong sollen die Angestellten innerhalb der ersten drei Stockwerke nicht mehr den Aufzug verwenden.
Spätestens seit Sonntagabend jedoch schwappte die Energieknappheit von der Arbeitswelt auf den Alltag der Menschen über: So kam es nicht nur in mehreren Städten zu Stromausfällen in Wohnanlagen, auch Ampelanlagen und Strassenbeleuchtungen sind teilweise ausgefallen, was zu Verkehrschaos geführt hat. Die Lage ist ernst.
Die Gründe für die Stromausfälle sind zumindest teilweise hausgemacht. So möchte die Regierung in Peking einerseits ihre Emissionen drastisch reduzieren und verlangt von Lokalregierungen, ihren Energieverbrauch zu drosseln. Schliesslich hatte Staatschef Xi Jinping im letzten Jahr erst angekündigt, bis 2060 Klimaneutralität erreichen zu wollen. Fast alle Provinzen haben die ausgegebenen Ziele für 2021 aber deutlich überschritten, was nun den Druck erhöht, den Konsum zurückzufahren.
Doch wie das Wirtschaftsmagazin «Caijing» berichtet, sei die Hauptursache des Problems eine tatsächliche Energieknappheit, insbesondere von Kohle. Dies wiederum hat mehrere Gründe: Im Zuge eines Handelsstreits mit Canberra hat Chinas Staatsführung angeordnet, die Kohleimporte aus Australien drastisch zurückzufahren.
Zudem ist die Kohlezufuhr aus der Kernregion Innere Mongolei stark eingebrochen, nachdem die Aufsichtsbehörden dort eine strikte Anti-Korruptions-Kampagne lanciert hatten. Und nicht zuletzt steigt die Nachfrage für Heizenergie im Nordosten des Landes, nachdem es dort früher als gewöhnlich zu Temperatureinbrüchen kam.
All dies ist eine bedrohliche Gemengelage für die Energiesicherheit des Landes. Dass sich die Lage bald erholt, scheint unrealistisch. Schliesslich ist die Kohleproduktion in vielen chinesischen Kraftwerken auch deshalb zurückgegangen, weil die Rohstoffpreise derzeit auf Rekordniveau sind.
Mehrere Finanzdienstleister haben ihre Wirtschaftsprognosen für die Volksrepublik für das laufende Jahr bereits leicht nach unten korrigiert. Die japanische Nomura Holding ging noch vor wenigen Tagen von einer Expansion des chinesischen Bruttoinlandprodukts von 8,2 Prozent aus, nun rechnet man mit 7,7 Prozent – und hält weitere Anpassungen für durchaus denkbar.
Sehr ernst ist die Lage in Dongbei, dem kontinental geprägten Nordosten. Die Bevölkerung muss sich bis in den kommenden März hinein auf weitere Einschränkungen einstellen. Das ist für Millionen von Menschen im Winter –bei nächtlichen Minustemperaturen von über 20 Grad – lebensbedrohlich.