Ukraine/Russland
Berlusconi bietet Putins Propaganda eine gefährliche Bühne: Darum ist Italien so anfällig für die Kreml-Lügen

Sensations-Hascherei in den Talkshows und die intransparente Rolle der russischen Botschaft in Rom führen zu einem heiklen Mix. Jetzt wird Italiens Parlament aktiv. Ob das etwas bewirkt, bleibt äusserst fraglich.

Virginia Kirst, Rom
Virginia Kirst, Rom
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Silvio Berlusconi und Wladimir Putin bei einem gemeinsamen Besuch auf der Krim 2015.

Silvio Berlusconi und Wladimir Putin bei einem gemeinsamen Besuch auf der Krim 2015.

Keystone

Am 1. Mai war es dann selbst für italienische Verhältnisse ein Auftritt zu viel. Gleich zwei Russen, die auf der EU-Sanktionsliste stehen, durften am Tag der Arbeit ausführlich ihre Positionen im italienischen Fernsehen erläutern: der russische Aussenminister Sergei Lawrow und Wladimir Solowjow, russischer TV-Journalist und Putins inoffizieller Chef-Propagandist.

Krude Thesen ungefiltert

Insbesondere Lawrows 43-minütiges Interview mit «Rete4», einem Privatsender des ehemaligen Regierungschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi, machte international Schlagzeilen. Putins Minister konnte seine kruden Thesen («die Ukraine ist von Nazis regiert», «die Juden sind die eifrigsten Antisemiten») auf dem Berlusconi-Sender ziemlich unwidersprochen verbreiten. Putin persönlich hat sich danach offenbar beim israelischen Premierminister für Lawrows Auftritt entschuldigt.

Lawrows Auftritt war dabei alles andere als aussergewöhnlich: Seit Beginn des Ukraine-Kriegs erhalten russlandfreundliche Meinungen im italienischen Fernsehen eine bemerkenswert grosse Bühne: So gross, dass jetzt sogar der parlamentarische Sicherheitsausschuss aktiv geworden ist.

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow im italienischen Fernsehen.

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow im italienischen Fernsehen.

Screenshot

Die Parlamentarier untersuchen derzeit, ob die hohe Präsenz «ausländischer Kommentatoren» in italienischen Talkshows in Tat und Wahrheit eine gut koordinierte russische Desinformationskampagne ist. Vorgeladen ist auch Carlo Fuortes, der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RAI. Auch in den Studios des Staatssenders gehen derzeit auffällig viele Personen ein und aus, die auf der Kreml-Lohnliste stehen.

Verschwörungstheorien in Talkshows

Beispielsweise die russische Journalistin Nadana Fridrikhson, die hauptberuflich für den vom russischen Verteidigungsministerium betriebenen Fernsehsender «Zvezda» arbeitet. Im italienischen Fernsehen hatte sie wiederholt gesagt, dass die «russische Spezialoperation» dazu diene, den Krieg zu beenden, «den das US-gestützte Regime in Kiew» begonnen habe. Ein anderes Beispiel ist die aussenpolitische Sprecherin Maria Zakharova, die im italienischen TV Verschwörungstheorien über das Massaker von Butscha verbreitete – und trotzdem weiterhin in Talkshows eingeladen wurde.

Dass italienische Sender immer wieder Leute einladen, die gefährliche Kreml-Propaganda verbreiten, überrascht Francesco Costa nicht. Der stellvertretende Chefredaktor der Online-Zeitung «il Post» sagt:

«Italienische Talkshows wollen nicht informieren, sondern unterhalten.»

Besonders offensichtlich sei das bei den Talkshows: «Das Ziel der Sendungen ist, einen möglichst grossen Skandal zu entfachen, damit beim nächsten Mal mehr Zuschauer einschalten.» Als Konsequenz dieser Skandal-Hascherei sagen etablierte Experten ihre Teilnahme an solchen Talkshows immer häufiger ab, weil sie nicht länger die immergleichen falschen Argumente widerlegen wollen.

Costa sagt, dass dieses Problem in Italien im Vergleich zu anderen Ländern besonders gross sei:

«Die russische Propaganda existiert auch in anderen Ländern. Aber in Italien ist sie viel präsenter.»

Das liege daran, dass das Fernsehen weiterhin der wichtigste Informationskanal sei und es in Italien entsprechend viele politische Talkshows gebe. Dieses Sendeformat sei günstig zu produzieren und erwecke den Anschein von Aktualität – auch wenn die Qualität der Inhalte häufig von zweifelhafter Qualität sei.

Am Ende wird kein Verbot stehen

Bleibt abzuwarten, ob Costas Begründung allein die starke Präsenz Kreml-naher Gäste in den Talkshows erklärt, oder ob der Parlamentsausschuss in seinen Anhörungen noch weitere Gründe herausfindet. Untersucht werden soll etwa, wonach die Redaktionen ihre Gäste auswählen und ob es dabei allenfalls sogar Absprachen mit der russischen Botschaft gibt.

Klar ist jetzt schon, dass am Ende der Untersuchung – zumindest für die privaten Sender – kein Verbot stehen wird, sondern bestenfalls eine Empfehlung. Schliesslich gilt auch in Italien die Pressefreiheit. Selbst dann, wenn Moskau sie geschickt für die eigenen Zwecke nutzt.