Spanien
Schluss mit Machismus: Wie ausgerechnet das Land der Stierkämpfer zum neuen Vorreiter für Feminismus werden will

Arbeitsfrei bei heftigen Menstruationsbeschwerden und «Ja ist Ja» – welche Verbesserungen es in Spanien für Frauen gibt und wo noch vieles im Argen liegt.

Manuel Meyer, Madrid Jetzt kommentieren
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Kaum ein Bild, das den Machismus im Land besser darstellt: Spaniens Stierkämpfer.

Kaum ein Bild, das den Machismus im Land besser darstellt: Spaniens Stierkämpfer.

Keystone

Konservativ, erzkatholisch und sexistisch. Nicht nur bei Feministinnen hat Spanien einen Ruf als «Macho»-Land. Doch es tut sich etwas im Land der Stierkämpfer und Kirchen. Die regierende Linksregierung von Ministerpräsidenten Pedro Sánchez will Spanien mit einer Reihe neuer Gesetzesreformen in Europa zum Vorreiter im Kampf gegen männliche Gewalt und Frauendiskriminierung machen.

«Und wir werden nicht stoppen, bis wir nicht eine Gesellschaft mit Gleichheit, Gerechtigkeit und ohne Macho-Gewalt haben», verspricht der 50 Jahre alte Sozialist. Bereits vor vier Jahren berief er bei seinem Amtsantritt Europas weiblichste Regierung ein. 60 Prozent seines Kabinetts sind Frauen.

Locker bei Abtreibung, Anerkennung heftiger Menstruationsbeschwerden

Angetrieben vom linksalternativen Koalitionspartner Unidas Podemos legte Sánchez Reformeifer vor allem in den vergangenen Wochen zu. Nachdem die Regierung bereits Anfang des Jahres geschlechtsspezifische Spielzeugwerbung für Mädchen und Jungen verbot, lockerte sie Ende Mai die Abtreibungsgesetze derart, dass die Katholische Kirche bereits von einer «barbarischen» Überschreitung einer «roten Linie» sprach. Der Grund: In Spanien dürfen demnächst sogar Mädchen ab 16 Jahren ohne Erlaubnis und Einwilligung ihrer Erziehungsberechtigten innerhalb der ersten 14 Wochen abtreiben.

Die neuen Abtreibungsregeln sind jedoch nur ein Teil des sogenannten Gesetzes über die «reproduktive Gesundheit und sexuelle Rechte von Frauen», das Spanien auch zum ersten Land in der Europäischen Union macht, das einen «Menstruationsurlaub» gewährt. Drei Tage lang können sich Frauen mit heftigen Regelbeschwerden krankmelden. Die Kosten des Arbeitsausfalls übernimmt der Staat.

Spanien erhält «Ja ist Ja»

Ebenfalls Ende Mai verschärfte Spanien sein Sexualstrafrecht. Sexuelle Übergriffe jeglicher Art werden demnächst als Vergewaltigung betrachtet – egal, ob sich das Opfer wehrt oder eine Handlung aus Angst geschehen lässt. Auf Vergewaltigung und sexuelle Gewalt werden dann bis zu 15 Jahre Haft stehen. Spaniens linksalternative Gleichstellungsministerin Irene Montero bezeichnete das als «Nur Ja ist Ja»-bekannte Gesetz als «Meilenstein, der die sexuelle Kultur in Spanien verändern wird».

Anfang Juni beschloss die Regierung dann auch, der Prostitution den Kampf anzusagen. Zuhälter wie Kunden sollen demnächst strafrechtlich noch stärker verfolgt werden. In Spanien ist die Prostitution gesetzlich kaum geregelt – weder erlaubt noch verboten.

Spaniens Frauen: Ein Leben zwischen Kirche, Küche und Kindern

Auch wenn die «Gleichstellungspolitik» zu den Prioritäten der aktuellen Regierung gehört, sind die jüngsten Errungenschaften nicht nur der neuen Linkskoalition zu verdanken. Vielmehr reagiert Ministerpräsident Sánchez auf eine seit Jahren sehr aktive und starke Frauenbewegung.

Zahlreiche Fälle häuslicher Gewalt und Massenvergewaltigungen mit skandalös niedrigen Strafen lassen die feministische Bewegung in Spanien seit Jahren lauter und einflussreicher als in anderen Ländern wirken. Schon seit Jahren bringt die Bewegung zum Weltfrauentag jährlich Millionen Spanier auf die Strassen. Viele Podemos-Ministerinnen im Kabinett stammen selber aus der Frauenbewegung.

Warum diese gerade in Spanien so stark ist, hat auch historische Gründe: «Das Trauma struktureller Ungleichheit ist bei Spaniens Frauen noch präsenter als anderswo», erklärt die Soziologin Carmen Meneses Falcón von der Madrider Comillas-Universität. Während bereits in den 1970er-Jahren Europas Frauenbewegungen die Strassen eroberten, fristeten die Spanierinnen in der Franco-Diktatur noch ein Leben zwischen Kirche, Küche und Kindern.

Und in der Gesellschaft? Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Bis 1975 konnten Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes oder Vaters weder ein Konto eröffnen noch arbeiten. Erst 1978, drei Jahre nach dem Tod des Diktators, wurde in der demokratischen Verfassung der Gleichheitsgrundsatz zwischen Frauen und Männern festgeschrieben. Und bis 1981 gab es in Spanien nicht einmal ein Recht auf Scheidung.

Der Nachzügler Spanien holt mit Blick auf Frauenrechte jetzt aber ordentlich auf. Ein Paradies für Frauen ist Spanien dadurch aber noch lange nicht. Die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern liegen über dem EU-Durchschnitt. Häusliche Gewalt ist immer noch ein gravierendes Problem. Frauen arbeiten nach der Arbeit zudem deutlich mehr im Haus und in der Kinderbetreuung als Männer. Die bezahlte Elternzeit endet in Spanien bereits 16 Wochen nach der Geburt. Erst seit kurzem haben auch Väter überhaupt einen Anspruch darauf.

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