Skandinavien
Sag Norwegen, wie hast Du’s mit dem Öl? Der Reichtum stellt das Land vor eine Zerreissprobe

Bei den Skandinaviern ist ein handfester Streit entbrannt. Am Montag kommt es wohl zum Machtwechsel.

Niels Anner, Kopenhagen
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Bohrinsel vor der norwegischen Küste: Die Ölindustrie garantiert Arbeitsplätze – und ist vielen Norwegern doch ein Dorn im Auge.

Bohrinsel vor der norwegischen Küste: Die Ölindustrie garantiert Arbeitsplätze – und ist vielen Norwegern doch ein Dorn im Auge.

Oyvind Hagen / Digital

«Ganz schön provozierend», findet es Nikoline Hassing: Soll man wirklich noch diskutieren, ob fossile Brennstoffe eine Zukunft haben? Für die Studentin aus Trondheim ist wie für viele andere in Norwegen die Klimafrage zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden. «Man bekommt Angst, und es pressiert wirklich langsam», sagte die 23-Jährige der Zeitung «Adresseavisen».

Sie ist entschlossen, mit ihrem Stimmzettel radikale Änderungen zu erreichen: Norwegen soll aus dem Erdöl-Geschäft, das das Land in den letzten Jahrzehnten zu einem der reichsten der Welt gemacht hat, aussteigen. Endlich den Klimaschutz ernst nehmen.

Seit 2019 engagieren sich Zehntausende für die Bewegung «Klimabrølet» (Klimagebrüll), die mit Aktionen und Demonstrationen dafür sorgen will, dass das Thema von der Politik gehört wird. Die letzten Umfragen vor den Parlamentswahlen am Montag zeigen: Parteien mit kritischer Haltung zur Öl-Industrie haben den stärksten Auftrieb.

Premierministerin Erna Solberg steht kurz vor der Ablösung – dabei hat sie in letzter Zeit nicht viel falsch gemacht.

Premierministerin Erna Solberg steht kurz vor der Ablösung – dabei hat sie in letzter Zeit nicht viel falsch gemacht.

Javad Parsa / EPA

Auf der anderen Seite gibt es eine Facebook-Gruppe namens «Oljebrølet» (Ölgebrüll) mit 240'000 Mitgliedern. Sie wird schwergewichtig von rechtspopulistischen Kräften geleitet, doch auch viele in der Erdölindustrie und den tausenden Zulieferbetrieben engagieren sich. «Ich hoffe, ich kann bis zur Pensionierung hier arbeiten, sagt etwa Nadia Zahl, eine 25-jährige Spezialistin für Industrierohre. Auch sie macht sich Sorgen wegen der Klimaerwärmung, findet aber, die Welt habe noch keine gute Lösung, um den zunehmenden Energiebedarf ohne Öl zu decken. Darum sei ein Ausstieg zu riskant – eine Haltung, die eine Mehrheit der Bevölkerung teilt.

Nun stehen Wahlen an, und die Debatte ist stark polarisiert. Dass die achtjährige Regierungszeit der Bürgerlichen zu Ende geht, scheint klar: Die Umfragen deuten auf eine Niederlage der konservativen Regierungschefin Erna Solberg und ihrer Koalition hin, obwohl diese in den letzten Jahren und auch in der Coronakrise keine grossen Fehler machte.

Wer regiert mit den Sozialdemokraten?

Mitte-Links dürfte an die Macht kommen, die Frage ist nur, in welcher Zusammensetzung. Grösste Partei werden die Sozialdemokraten, doch sie brauchen Unterstützung von der Zentrumspartei, womöglich aber auch von den Sozialisten und den Grünen. Und hier kommt der grosse Streitpunkt über die Zukunft ins Spiel: Was soll mit dem lukrativen Erdöl im Boden der Nordsee geschehen, das einen grosszügigen Wohlfahrtsstaat auf Jahrzehnte hinaus gesichert hat?

Hier geht ein Riss durch die Bevölkerung, der auch das Leben einer neuen Regierung schwierig macht. Die Grünen stellen ein Ultimatum: sie stützen eine Regierung nur, wenn die Suche nach Öl sofort eingestellt wird, und auch die Sozialisten plädieren für einen raschen Ausstieg. Dies ist jedoch für die Sozialdemokraten – wie auch die Zentrumspartei und alle Bürgerlichen – keine Option: Zu viele Arbeitsplätze und Steuereinnahmen hängen an den Bohrplattformen.

Norwegen argumentiert gerne grün, setzt auf Wind- und Wasserstrom, schützt mit viel Geld Regenwald-Gebiete. Dabei blendet das Land aber aus, dass es mit fossilen Brennstoffen stark zum CO2-Problem beiträgt – wenn auch nicht in der eigenen CO2-Bilanz, sondern derjenigen anderer Nationen.