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Frust in Brüssel: Die EU-Kommission wirft dem Bundesrat Kompromisslosigkeit vor. Und macht eine neue Verbindung zwischen dem Kohäsionsbeitrag und der Forschungszusammenarbeit.
Nach dem Besuch von Bundespräsident Guy Parmelin vom vergangenen Freitag herrscht in Brüssel Ärger und Konsternation: Parmelin habe keinen Zweifel daran gelassen, dass die Schweiz sich bei den drei offenen Streitfragen nicht mehr bewegen werde, schildert eine EU-Beamtin am Montag ihre Eindrücke.
Die Rede ist von einem «Ultimatum»: Wenn der Lohnschutz, die Unionsbürgerrichtlinie und die Staatsbeihilfen nicht komplett ausgenommen würden, werde der Bundesrat das Abkommen nie unterschreiben. «Das hatten wir so nicht erwartet», zeigt sich die Beamtin überrascht. Die EU-Kommission sieht sich vom Bundesrat auch getäuscht: «Wenn man eine solche Position hat, muss man nicht drei Monate verhandeln. Dann kann man das Ganze auch in einer Stunde erledigen», sagt die Beamtin.
Auf die als Verhärtung wahrgenommene Haltung der Landesregierung reagiert die EU nun ihrerseits mit einer Verhärtung: Die Verhandlungen über eine Teilnahme am 95-Milliarden-Forschungsprogramm «Horizon Europe» sollen erst beginnen, wenn die Schweiz «ihre Schulden beglichen» habe, wie es die EU-Beamtin formuliert. Sprich: Wenn die Schweiz den Kohäsionsbeitrag von rund 1,3 Milliarden Franken freigibt, der in den Augen der EU seit Jahren überfällig ist. Seit 2013 warte man hier auf Schweiz. Vor allem in osteuropäischen Ländern ist der Ärger gross.
In Schweizer-Kreisen heisst es, selbst wenn er wollte, seien dem Bundesrat die Hände gebunden: Er kann das Geld gar nicht freigeben. Das Parlament hat die Kohäsion an eine Lösung im Streit um die Börsenanerkennung geknüpft, die Brüssel wegen dem Knorz ums Rahmenabkommen der Schweiz im vergangenen Jahr entzogen hat.
Ihre Sicht auf die Verhandlungen beschreibt die EU-Kommission so: Man habe der Schweiz in den vergangenen drei Monaten substanzielle Kompromissangebote gemacht. Entgegen früheren Ankündigungen sei man auch bereit, den Vertragstext im Bereich der Flankierenden Massnahmen wieder zu öffnen und der Schweiz weitgehende Garantien zum Lohnschutz zu geben. Dies, solange der Grundsatz der Nichtdiskriminierung und Verhältnismässigkeit respektiert würde. Aber Bern sei auf das Angebot nie eingestiegen und fordere vielmehr einen Blankocheck, auch in Zukunft «alle möglichen Massnahmen» ergreifen zu können.
Bei der Unionsbürgerrichtlinie sei man offen, sich die Sache «Punkt für Punkt» anzuschauen und eine Teilübernahme anzugehen, ähnlich wie im Fall Norwegen, wo zum Beispiel politische Rechte aus dem Konzept der Unionsbürgerschaft ausgeschlossen wurden. Aber auch hier sei die Schweiz nicht auf das Angebot angesprungen. Bei den staatlichen Beihilfen habe man die Forderung der Schweiz vollständig akzeptiert, eine vorläufige Anwendung der neuen Regeln auf das Freihandelsabkommen von 1972 zu streichen. Eine Einigung ist aus Sicht der EU weiter möglich. «Allerdings braucht es dazu zwei», so die EU-Beamtin.