Ohne Zertifikat dürfen die Menschen im Belpaese ab sofort nicht mehr arbeiten gehen. Die angekündigten Proteste könnten das Land ausbremsen.
Ab heute gelten in Italien die strengsten Corona-Regeln in ganz Europa: Zur Arbeit erscheinen darf nur noch, wer geimpft, genesen oder negativ getestet ist – und das mit einem Corona-Zertifikat (in Italien heisst das «Green Pass») nachweisen kann. Wer keinen Green Pass hat, wird suspendiert. Die Kontrolle muss der Arbeitgeber übernehmen. Wer gegen die Regel verstösst, dem drohen hohe Bussen.
Kein Wunder also, dass die Impfzentren in Italien in den letzten Tagen einen regelrechten Ansturm zu verzeichnen hatten: Zahlreiche Ungeimpfte beschafften sich einen Last-Minute-Termin, um heute von der Chefin nicht gleich wieder nach Hause geschickt zu werden. Der Speditionsangestellte Vincenzo Marini ist einer von ihnen. «Erpressung» sei das, sagt der Römer. Er sei zwar nicht grundsätzlich gegen das Impfen:
«Aber so kann der Staat doch nicht mit seinen Bürgern umspringen.»
Dass zum Arbeiten statt einer Impfung auch ein negatives Testresultat ausreichen würde, hilft dem 48-Jährigen wenig: «Mich würden diese Tests über 150 Euro pro Monat kosten. Das kann ich mir mit meinem Lohn von 1300 Euro nicht leisten.» Noch weniger könnte er es sich leisten, die Stelle zu verlieren.
Wie Vincenzo Marini geht es derzeit gut drei Millionen Arbeitnehmenden in Italien, die noch gar nicht oder nicht vollständig geimpft sind. Ohne negatives Testresultat droht ihnen ab heute der Entzug ihrer Lebensgrundlage. Und damit beginnen die Probleme: Italiens Testkapazität reicht nicht, um drei Millionen Personen alle zwei Tage zu testen. Zudem verlangen die Rechtsparteien Lega und Fratelli d’Italia, dass die Tests für die nicht Geimpften gratis bleiben.
Doch Regierungschef Mario Draghi lehnt das kategorisch ab: Er will mit der Green-Pass-Pflicht die Impfwilligkeit erhöhen und setzt auf die zermürbende Wirkung von kostenpflichtigen Tests. Und das, obwohl bereits mehr als 80 Prozent aller über 12-Jährigen im Land geimpft sind.
Ob und wie lange Draghi diese harte Linie durchzieht, bleibt abzuwarten, denn es droht der Ausfall strategischer Infrastrukturen. In Triest, wo 40 Prozent der Hafenarbeiter nicht geimpft sind, dürfte der Hafenbetrieb bereits heute zusammenbrechen. In den Häfen von Genua, Neapel und Palermo könnte es zu Solidaritätsstreiks kommen.
Die Impfpass-Pflicht hat die Impfgegner in Italien deutlich radikalisiert. Am Samstag haben in Rom mehr als 10000 Impfgegner gegen die Regierung demonstriert. Es kam zu schweren Krawallen. In Telegram-Chats rufen Impfgegner jetzt dazu auf, das «Kampfniveau» noch einmal zu «erhöhen», weil «die Regierung den Arbeitern den Krieg erklärt» habe.
Italien war im Frühjahr das erste Land der EU, das eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal einführte. Anschliessend kam die Green-Pass-Pflicht für Lehrpersonen, die nun auf alle Berufstätigen ausgeweitet wird.
Die Schicksale ungeimpfter Lehrpersonen zeigen, was demnächst auf Italien zukommen könnte. Alessandro Moretti, 48, Lehrer an einer Hochschule in Bergamo, ist einer von ihnen. Er ist seit dem 5. Oktober suspendiert. Zum Test-Zwang sagt er:
«Ich verstehe nicht, wieso der Green-Pass-Zwang bei der Arbeit nur für uns Italiener gelten soll. Die EU muss dafür sorgen, dass überall gleiches Recht gilt.»
Moretti hofft, dass eine der Klagen gegen die Green-Pass-Pflicht erfolgreich sein wird. Der Verfassungsrechtler Francesco Palermo winkt aber ab: «Es entspricht der Verfassung, für bestimmte Berufe eine Impfpflicht zu erlassen.»