Frankreich
Macron setzt sich in Szene

Der Präsident bekräftigt vor dem Kongress in Versailles seinen Reformwillen.

Stefan Brändle, Paris
Drucken
Einzug des «Sonnenkönigs»: Präsident Emmanuel Macron in Versailles. Etienne Laurent/AP/Keystone

Einzug des «Sonnenkönigs»: Präsident Emmanuel Macron in Versailles. Etienne Laurent/AP/Keystone

KEYSTONE

Ein 39-jähriger Staatschef am symbolträchtigen Königshof – aber vor rund 900 Parlamentariern: Dieses ungewohnte Bild bot gestern Montag der französische «Kongress», die Versammlung von Nationalversammlung und Senat. Die Verfassung erlaubt erst seit 2008 – auf Betreiben des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy –, dass der Staatschef das Parlament einberuft und ihm ins Gewissen redet. Nachfolger François Hollande hatte von diesem neuen Recht nur einmal Gebrauch gemacht, um nach den Terroranschlägen von 2015 an den Zusammenhalt der Nation zu appellieren.

«Eine Dosis Proporz»

Emmanuel Macron benützte die Gelegenheit, sich als republikanischer Monarch in Szene zu setzen. Fast sekundär wirkte dabei, dass er auch seine «tief gehenden Reformen» für Frankreich präzisierte. So will er das Mehrheitswahlrecht durch «eine Dosis Proporz» ergänzen, um kleineren Parteien zu einer etwas gerechteren Vertretung im Parlament zu verhelfen. Profitieren würden wohl die Grünen, die Linke und der Front National. Die Zahl der Parlamentarier will Macron zugleich um einen Drittel reduzieren. Diese und andere Vorschläge will er einer Volksabstimmung unterbreiten, wenn die Abgeordneten nicht mitspielen.

Der im Zuge der Terroranschläge eingeführte Ausnahmezustand soll im Herbst beendet und in ein reguläres Gesetz überführt werden. Das werde «unter Aufsicht der zuständigen Richter» geschehen, beschwichtigte der Präsident skeptische Menschenrechtsverbände. Er warb vor allem auch für die Reform des französischen Arbeitsrechtes und den Abbau des Staatsdefizites. Kritiker warfen ihm darauf vor, er unterbreite den Stimmberechtigten nur die unbestrittene Wahl- und Parlamentsrevision, nicht aber die umstrittene Arbeitsmarktreform. Sie will der Präsident sogar per Dekret verabschieden, um das langwierige Abstimmungsverfahren in der Nationalversammlung zu vermeiden.

Seit seiner Wahl vor knapp zwei Monaten auf präsidiale Machtsymbole erpicht, kündigte Macron an, er werde in Zukunft einmal jährlich vor den Kongress treten. Diese Absicht weisen Grüne, Linke und Zentrumsdemokraten als Verstoss gegen die Gewaltentrennung zurück. 30 Parlamentarier aus diesen Reihen boykottierten die «Vorladung» des Präsidenten ostentativ. Die grösste Oppositionspartei, die konservativen Republikaner, nahm zwar teil, doch blieben ihre beiden Fraktionschefs dem zuvor organisierten Mittagessen mit Macron aus Protest fern. Die französischen Medien wetteiferten gestern mit Ausdrücken, um den Machtanspruch des jungen Präsidenten ironisch zu umschreiben, und nannten ihn «Pharao», «Jupiter» oder gar «Göttergott». Der Linksabgeordnete François Ruffin erklärte, er habe «keine Lust, dem neuen Sonnenkönig in Versailles zuzuhören» – und besuchte lieber einen Behindertenverein in seinem Wahlkreis.

Affront gegen den Premierminister?

Die Revolte gegen Macrons anderthalbstündigen Auftritt hat auch politische Motive: Die Kommunisten und das «Unbeugsame Frankreich» von Jean-Luc Mélenchon unterstellten dem Staatschef den «Willen, das Parlament zu unterwerfen». Das entspringe dem gleichen Geist wie die Dekrete, mit denen der Präsident seine umkämpfte Arbeitsmarktreform durchdrücken wolle. Verfassungsrechtler kritisieren zudem, Macron desavouiere mit seiner gross inszenierten Rede seinen eigenen Premierminister Edouard Philippe, indem er ihm vor dessen eigener Regierungserklärung heute Dienstag zuvorkomme. Auch dieser Affront unterstreiche, wie der Präsident das Gleichgewicht der institutionellen Kräfte umstürze. Macron erklärte in seiner Rede, er lege die grossen Linien fest, dem Premier sei es überlassen, sie «umzusetzen».