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Präsidentschaftswahlen Mexiko: Andrés Manuel López Obrador führt komfortabel in den Umfragen – 49,6 Prozent der Stimmen würden an den Links-Kandidat fallen. Die Konkurrenten kommen alle nicht über 30 Prozent.
Der Kandidat verspätet sich, sein Zeitplan ist eng getaktet. Und wenn es dann wie an diesem Tag Mitte Juni in Strömen regnet, gerät alles durcheinander. Wo bleibt Andrés Manuel López Obrador?
In dem kleinen Ort Chimalhuacán, drei Autostunden von Mexiko-Stadt entfernt, harren 3000 Menschen geduldig unter Planen und Schirmen im tiefen Matsch der Sportanlage aus. Wahlkampfsongs halten sie bei Laune. «Wir warten auf ihn, egal, wie lang es dauert», sagt Catalina Guevara (65). «Er muss unser Land retten, die anderen haben es an den Abgrund geführt», sagt die pensionierte Lehrerin. Als um 19.45 Uhr ein Mann in Schwarz die Bühne erklimmt und sich für die einstündige Verspätung entschuldigt, skandieren die Menschen: «Es un honor, estar con Obrador. «Es ist eine Ehre, mit Obrador zu sein».
Der Präsidentschaftskandidat war am Morgen an der Karibikküste und muss noch am Abend weiter nach Guadalajara. Seit Monaten hetzt er durchs Land, besucht jeden Weiler. «Er weiss, woran es uns fehlt», sagt die frühere Lehrerin Guevara: Sicherheit, Arbeitsplätze, mehr Wohlstand, weniger Korruption.
In Chimalhuacán verspricht López Obrador Stipendien für Oberschüler, Hilfe für die Bauern, Garantierente für Alte. Seine Botschaften sind einfach, aber die Zuhörer quittieren sie mit lauten «Jaaaa»-Rufen. López Obrador geisselt die «Mafia der Macht», die Mexiko ausgeplündert habe. «Ich komme wieder, als Präsident», kündigt er nach seinem halbstündigen Auftritt an.
Tatsächlich sehen die Umfragen den Kandidaten mit seiner neu gegründeten «Bewegung zur Erneuerung Mexikos» (Morena) bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag vorn. Er hat beste Chancen, das zweitgrösste Land Lateinamerikas und die zweitgrösste Volkswirtschaft der Region zu regieren.
Praktisch seit dem Beginn des Wahlkampfes vor rund neun Monaten führt der Linkskandidat komfortabel. In den jüngsten Umfragen liegt er mit 49,6 Prozent weit vor den Vertretern der klassischen Parteien.
Der Konservative Ricardo Anaya kommt auf 27 Prozent und hat noch die besten Chancen gegen López Obrador. Doch der 39-Jährige, der für die ideologisch schwammige Rechts-Links-Allianz aus PAN und PRD antritt, wirkt wie ein rechthaberischer Oberschüler. Bei Teilen der Mittelschicht und Studenten komme er an, sagt der Soziologe Alberto Aziz Nacif vom Forschungszentrum CIESAS. Aber er spreche nicht wie sein 64-jähriger Konkurrent die Sprache des Volkes.
Als chancenlos gilt der parteilose Ex-Finanzminister José Antonio Meade, den die Regierungspartei PRI ins Rennen schickt. Er liegt mit 23 Prozent auf dem dritten Platz. Die Mexikaner trauen weder der konservativen PAN noch der PRI, die Mexiko mit Unterbrechungen seit einem Dreivierteljahrhundert regiert und doch nur für Korruption, misslungene Armutsbekämpfung und verfehlte Konzepte im Kampf gegen die organisierte Kriminalität steht.
In seiner Amtszeit sollte alles besser werden, versprach der scheidende Präsident Enrique Peña Nieto bei Amtsantritt vor sechs Jahren. Weniger Tote im Drogenkrieg, weniger Korruption, mehr Wachstum und niedrigere Preise aufgrund der Strukturreformen. Fakt ist: Alles ist schlechter geworden.
Kriminalitätsexperten rechnen dieses Jahr mit 32 000 Morden, doppelt so viele wie vor vier Jahren. Zudem fallen Menschenrechtsverbrechen wie das Verschwinden der 43 Studenten von Ayotzinapa im September 2014 in Peña Nietos Amtszeit.
Auf dem Korruptionsindex von Transparency International hat Mexiko unter Peña Nieto 30 Plätze eingebüsst und liegt nun gemeinsam mit Russland auf Platz 135. Die Öffnung des Energiesektors hat vor allem eines bewirkt: höhere Benzin- und Strompreise. Und die Wirtschaft wuchs gerade mal um 2,5 Prozent pro Jahr, zu wenig für ein Schwellenland.
Der Mindestlohn von umgerechnet etwas über 100 Euro liegt nach Berechnungen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) unter der Armutsgrenze. Und so zählen die Mexikaner die Tage, bis Peña Nieto und seine Partei endlich gehen.
Auf Mexikos künftigen Präsidenten warten auch aussenpolitisch grosse Herausforderungen. Für das künftige Verhältnis zu den USA wird entscheidend sein, welche Position der Staatschef in der Migrationsfrage einnimmt, sowohl an der Grenze zu Zentralamerika als auch im Norden zu den USA. Menschenrechtsorganisationen hoffen zudem auf einen Kurswechsel in der juristischen Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen von Polizei und Armee.
Die etablierten Parteien versuchen noch bis zum Schluss, López Obrador unter allen Umständen zu verhindern. Die Wähler werden mit anonymen Anrufen bombardiert, in denen düstere Stimmen falsche Behauptungen über den führenden Linkskandidaten aufstellen. Er wolle angeblich den Sozialismus einführen und die Institutionen zerstören.
Bereits 2006 hat es eine ähnliche Schmutzkampagne gegen ihn gegeben. Seinerzeit hiess es, López Obrador sei eine «Gefahr für Mexiko», er werde das Land in ein zweites Venezuela verwandeln. Damals war er fast am Ziel, wurde jedoch am Ende vom konservativen Kandidaten Felipe Calderón besiegt. Bis heute besteht ein Betrugsverdacht zuungunsten des Linkspolitikers.