Jahrelang hat der amerikanische Geheimdienst NSA die Staatspräsidenten Hollande, Chirac und Sarkozy abgehört. Dies zeigen Dokumente der Enthüllungsplattform Wikileaks. Sie enthüllen Chirac als Strippenzieher und Hollande als Lästermaul.
Empörung und Verärgerung in Frankreich: Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte am Dienstag Geheimdokumente veröffentlicht, wonach die Telefone der drei französischen Präsidenten Jacques Chirac (1995-2007), Nicolas Sarkozy (2007-2012) und François Hollande von den USA abgehört wurden. Und das steht in den Wikileaks-Dokumenten:
1) Akte «UNO» 2006
Übermittelte Informationen: Um einen ihm genehmen Diplomaten in den oberen UNO-Chargen einzusetzen, gibt der damalige französische Präsident Jacques Chirac seinem Aussenminister Philippe Douste-Blazy aussergewöhnlich direkte Anweisungen.
Kommentar der NSA: «Chiracs genaue und direkte Anweisungen können als Antwort auf den Hang des Aussenministers verstanden werden, mit schlecht getimten und verfehlten Äusserungen von sich reden zu machen.»
2) Akte «Finanzkrise» 2008
Übermittelte Informationen: Ex-Präsident Nicolas Sarkozy fasst es als seine Aufgabe auf, Europa und die Welt vor der Finanzkrise zu retten. Aus seiner Sicht haben vor allem zahlreiche Fehler der US-Regierung zur weltweiten Finanzkrise geführt. Er glaubt, dass Washington offen für seine, Sarkozys, Ratschläge sei. Für Sarkozy ist es das erste Mal überhaupt, dass die USA ihre weltweite Leaderrolle in der Bewältigung der Finanzkrise nicht wahrgenommen hätten. Deshalb müsse nun Frankreich das Ruder übernehmen.
Kommentar der NSA: «Sarkozy sieht sich selbst als Einzigen, der die weltweite Finanzkrise lösen kann.»
3) Akte «No-Spy-Abkommen» 24. März 2010
Übermittelte Informationen: Der damalige Präsident Nicolas Sarkozy berät sich mit Diplomaten über ein von Frankreich vorgeschlagenes Abkommen mit den USA. Dieses sieht vor, dass die beiden Länder sich nicht gegenseitig ausspionieren. Stein des Anstosses ist die Haltung der USA, welche ihre Spionage-Tätigkeiten in Frankreich nicht aufgeben wollen. Die Männer kommen bei ihrem Gespräch zum Schluss, dass Sarkozy beim kommenden Treffen mit dem US-Präsidenten die Verärgerung Frankreichs über die Nichtunterzeichnung zum Ausdruck bringt und weiterhin auf eine Ratifizierung drängt. Im weiteren Gesprächsverlauf geht es um Rüstungsaufträge, die nach Frankreich geholt werden sollen, und um einen Markenstreit, auf dessen Lösung der französische Spirituosen-Hersteller PernodRicard drängt.
Kommentar der NSA: «Patrick Ricard, Vorsitzender Direktor der Pernod-Ricard-Gruppe, ist einer der wohlhabenden Hintermänner Sarkozys.»
4) Akte «Nahost» 10. Juni 2011
Übermittelte Informationen: Ex-Präsident Nicolas Sarkozy denkt laut darüber nach, Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und Israelis ohne Beteiligung der USA zu führen. In einem Gespräch mit seinem Aussenminister Alain Juppé stellen die beiden Überlegungen an, wonach Paris bei einer Beteiligung der USA, Russland und der UNO auf verlorenem Posten kämpfen würde, weil die Nahost-Friedensverhandlungen von Russland und den USA dominiert würden.
Die NSA-Agenten verzichteten, diese Geheiminformation zu kommentieren.
5) Akte «Grexit» 22. Mai 2012
Übermittelte Informationen: Frankreichs amtierender Präsident François Hollande plant Geheimverhandlungen über einen allfälligen Grexit mit der deutschen Opposition. Hinter dem Rücken von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei sollen abschätzige Äusserungen über die Bundeskanzlerin fallen. Bei den Gesprächen über die Eurokrise hätte «nichts Substanzielles herausgeschaut». Im Gegenteil: «Sie waren pure Show», so Hollandes Worte. In der Depesche taucht auch fehlerhaft der Name des SPD-Chefs «Sigmair Gabriel» auf.
Kommentar der NSA: «Der französische Präsident fürchtet eine noch tiefere Krise, sollte öffentlich werden, dass Paris tatsächlich einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro in Betracht zieht. Hollandes Premier Jean-Marc Ayrault warnte vor diplomatischen Konsequenzen, falls Bundeskanzlerin Merkel herausfindet, dass sich Hollande hinter ihrem Rücken mit der Opposition trifft.»
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In der Entrüstung um den jüngsten Abhörskandal rief der frühere Minister Bernard Debré einsam in den Sturm. Er kritisierte die «gehörige Heuchelei». Dass die NSA die halbe Welt abhöre, sei bekannt. Dabei habe sie ihre Aktivität stark reduziert. «Währenddessen gehen wir den umgekehrten Weg», warnte Debré mit Verweis auf Frankreichs neues Anti-Terror-Gesetz. Durch einen zeitlichen Zufall stand die Vorlage gestern auf der Tagesordnung der Nationalversammlung. Es wurde am Abend mit breiter Mehrheit gebilligt. Sowohl die regierenden Sozialisten als auch die konservative Opposition waren dafür. Nur die Linksfront und die Grünen votierten dagegen.
Sie hatten in der Parlamentsdebatte massive Einwände gegen das neue Gesetz, das als Antwort auf die «Charlie Hebdo»-Attentate vom Januar entstand. Französische Ermittler sollen neu sämtliche Handy-Gespräche in einem gewissen Umkreis mitverfolgen dürfen. Bei Telekom-Operateuren können sie zudem Datenschreiber installieren, um «verdächtige Abfolge von Online-Daten» zu registrieren – wobei nicht nur Verdächtige betroffen sind. Kritiker warnen vor einer Massenüberwachung.
Voraussetzung für die flächendeckende Operation kann eine «terroristische Drohung» sein, aber auch die Gefährdung «wesentlicher nationaler Interessen». Die Informatikkommission kritisierte die schwammigen Formulierungen sowie die fehlende Gewaltentrennung: Neuerdings muss nicht mehr ein Richter zustimmen, sondern das Amt des Premierministers – also die gleiche Exekutive, die den Lauschangriff startet. Ähnliche Befugnisse hat die NSA. (brä)