Startseite
International
Ende Jahr gibt UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sein Amt ab. Heute finden vor der Vollversammlung in New York die ersten Hearings der acht offiziellen Kandidaten statt. Gewählt wird im Sommer. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass eine Frau das Rennen macht. Ist das der grosse Durchbruch in der Frauenemanzipation?
Christine Lagarde, Angela Merkel, Hillary Clinton, Janet Yellen – momentan begegnen wir fast täglich den Namen von Spitzenfrauen, die sich auf dem internationalen Parkett bewegen oder auf dem Weg dazu sind. Auftrieb erhält diese Beobachtung noch zusätzlich, weil vier von acht Kandidierenden für den Posten des UNO-Generalsekretariats Frauen sind. So steigt auch Helen Clark, die frühere neuseeländische Regierungschefin und seit 2009 Vorstehende beim UNO-Entwicklungsprogramm UNDP, mit intakten Chancen in den Ring.
Lesen Sie hier auch den Kommentar «Alles neu in der UNO» von Dagmar Heuberger, Auslandschefin der Nordwestschweiz.
Kaum eine internationale Organisation verkörpert den Umgang mit den Kulturen stärker als die UNO. Frauen pflegen seit je einen intensiven Umgang mit Kulturen, sei er länderspezifisch oder kulturell im engeren Sinn auszulegen. Nicht zufällig sind denn auch Frauen seit Jahrzehnten in den UNO-Gremien prominent vertreten. Vor dreissig Jahren schon präsidierte die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland die «World Commssion on Environment and Development» und gab dieser Kommission sogar ihren Namen («Brundtland-Kommission»). Später wurde die Nordeuropäerin zur Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation gewählt.
Aber auch in Ländern, in denen Frauen in politischen Positionen wenig zu suchen haben, beispielsweise im Iran, sind Frauen in UNO-Positionen vertreten. Selbst die kleine Schweiz, die sich als der Neutralität verpflichtetes Land zwar für die Guten Dienste anerbietet, in der mächtigen UNO aber eine geringere Stimme hat, stellt ihre prominenten Vertreterinnen: Die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss amtet als Mitglied der Weltkommission für Drogenpolitik und von der eben zurückgetretenen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf weiss man nicht nur, dass sie sich für ein internationales Amt interessiert, sondern dass internationale (Finanz-)Organisationen sich auch für sie interessieren.
Die UNO ist eine nichtstaatliche Organisation, die nicht gewinnorientiert eine Vielfalt von Leistungen und humanitären Funktionen wahrnimmt. Ihre Legitimation schöpft sie aus ihrer Charta, welche die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, den Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit vorschreibt. Werte, denen Frauen traditionsgemäss ein besonderes Augenmerk widmen. Frauen sind in bewaffneten Konflikten oft direkt betroffen von Versorgungsengpässen oder fehlendem Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen und müssen dementsprechend wichtige Akteurinnen in Friedensprozessen sein. Frauen engagieren sich besonders aktiv an internationalen Zusammenarbeitsprojekten – nicht nur wenn es um den moralischen Weltfrieden geht. Sondern auch, wenn die internationale Zusammenarbeit in der Währungspolitik und der Ausweitung des Welthandels gefördert werden soll, wie dies der durch Christine Lagarde präsidierte Internationale Währungsfonds tut – übrigens eine Sonderorganisation der UNO.
Ein guter Generalsekretär sei gleichzeitig eine öffentliche Identifikationsfigur für das Streben nach einer besseren Welt, sagte am Radio kürzlich Paul Seger, der ehemalige Schweizer UNO-Botschafter und heutige Botschafter in Burma. «Sozusagen eine Art politischer Papst», fügte er an. Wir wollen dem Schweizer nicht unterstellen, dass er bewusst vom Papst und nicht von Mutter Teresa sprach. Aber es ist doch bezeichnend, dass Frauen zwar seit Jahrzehnten wichtige Positionen innerhalb der UNO bekleiden, jedoch noch nie eine Frau als Generalsekretärin kandidierte. Heute scheint die Zeit dafür reif und scheint auch das Auswahlverfahren zugunsten der fähigsten Person zu sprechen: Es ist zwar immer noch das rein machtpolitisch denkende Gremium Sicherheitsrat, das der Generalversammlung den quasi verbindlichen Vorschlag macht. Aber erstmals gibt es immerhin eine Kandidierendenliste und finden Hearings mit den Kandidierenden statt.
Für eine wirkungsvolle Krisenverhinderung und Krisenbewältigung wäre die Wahl einer Frau ganz sicher zu begrüssen. Dass der Transfer zur Wirtschaft gemacht würde und damit auch mehr Frauen an die Spitze von internationalen Unternehmen gelangten, ist allerdings eine Hoffnung, die nur die grössten Optimistinnen und Optimisten hegen.
*Esther Girsberger ist Publizistin, Moderatorin, Dozentin und Verfasserin mehrerer Bücher. Sie ist Mitglied des Publizistischen Ausschusses der AZ Medien.