Russlands Präsident legt in der Wochenzeitung «Die Zeit» seine Sicht auf den Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion vor 80 Jahren dar. In den sozialen Medien ist die Empörung gross – nicht nur wegen dem Inhalt des Beitrags.
Ein höchst ungewöhnlicher Autor sorgt derzeit mit einem Beitrag in der deutschen Zeitung «Die Zeit» für Aufsehen: Russlands Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich hat anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion einen Gastbeitrag verfasst und sich darin für bessere Beziehungen mit Europa ausgesprochen. Es gebe viele gemeinsame Interessen wie Sicherheit, strategische Stabilität, Klima- und Umweltprobleme, schrieb Putin in dem Text, den «Die Zeit» am Dienstagmittag online veröffentlichte.
Gleichzeitig erhob das russische Staatsoberhaupt Vorwürfe gegen EU und Nato. «Die Grundursache des zunehmenden gegenseitigen Misstrauens in Europa lag im Vorrücken des Militärbündnisses gen Osten», so Putin in dem Beitrag. Europa warf er vor, einen «bewaffneten verfassungswidrigen Staatsstreich» in der Ukraine unterstützt zu haben.
Putin erinnerte daran, dass mit dem Angriff der Nazis am 22. Juni 1941 für das sowjetische Volk der Grosse Vaterländische Krieg begonnen hatte - «der blutigste in der Geschichte unseres Landes». Er lobte «den Mut und die Standhaftigkeit der Helden der Roten Armee und der Arbeiter daheim», die nicht nur ihr Vaterland, sondern auch Europa und die ganze Welt vor Versklavung gerettet hätten.
In den sozialen Medien schlugen die Wellen nach der Veröffentlichung direkt hoch.
Der Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München schrieb auf Twitter von einem Kooperationsangebot Putins, das nur auf den ersten Blick eines sei. Vielmehr handele es sich um eine «Mogelpackung», da im Beitrag die Mär wiederholt werde, in der Ukraine habe es einen von den USA initiierten Staatsstreich gegeben. In Wahrheit ginge es Putin darum, die USA aus Europa zu verdrängen und die Nato zu schwächen.
Auf den ersten Blick enthält dieses Essay von Putin ein Kooperationsangebot an Europa und ein Eingeständnis, dass auch Russland Fehler gemacht habe. Aber:
— Carlo "Realism, Gedankenfetzen, and Rants" Masala (@CarloMasala1) June 22, 2021
*Die Mär, dass die NATO Erweiterung an allem Schuld sei, wird wiederholt
/1https://t.co/Dg6cJhoqS7
Ein grosser Teil der Kritik auf Twitter ist derweil, wie so häufig, nicht inhaltlicher Natur. Vielmehr wird darüber gestritten, ob «Die Zeit» dem russischen Präsidenten überhaupt eine Plattform hätte bieten dürfen. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, schrieb:
Ich würde lieber Gastbeiträge von den Menschen lesen, die sich in Russland für Menschenrechte einsetzen und unter Putins Regime leiden. https://t.co/WNO9PFxWX3
— Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) June 22, 2021
Die Zeit erklärte derweil vorab, wie es zu dem Gastbeitrag gekommen war: «Vor zwei Wochen wandte sich die russische Botschaft an die «Zeit» und bot einen Artikel von Wladimir Putin an. Anlass ist der 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion; eines Ereignisses, das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Rede gerade einen ‹Feldzug› nannte, getrieben vom ‹Wahn totaler Vernichtung›.»
Am Samstag sei der Text von Russlands Präsident eingetroffen, zunächst auf Russisch, später auf Deutsch. «Putin legt darin auch seine Sicht der jüngsten europäischen Geschichte dar», so das Blatt weiter. «Die Ereignisse 2014 in der Ukraine bezeichnet er als von Europa unterstützten ‹Staatsstreich›, schreibt vom ‹Austritt› der Krim. Die Bundesregierung und die EU dagegen sprechen von ‹Völkerrechtsbruch› und einer ‹Annexion› der Krim durch Russland.» (fho/dpa)