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Der aserbaidschanische Staatskonzern Socar teilt in den sozialen Medien Kriegspropaganda gegen Armenien. In der Schweiz betreibt er die Tankstellenshops von Migrolino. Die Armenier sind ausser sich. Ein Nationalrat fordert die Migros bereits auf, die Kooperation zu beenden.
Die Kämpfe in der Region Bergkarabach beschäftigen auch die Armenier in der Schweiz. Am Donnerstag versammelten sich mehr als hundert von ihnen im Stadtzentrum von Zürich. Nicht nur, um gegen den Aggressor im fernen Aserbaidschan zu demonstrieren.
In erster Linie richtet sich ihr Protest an die Schweiz, wie einer der Organisatoren, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, im Gespräch erklärt. «Wir wollen die Schweizer Bevölkerung darauf aufmerksam machen, dass quasi vor ihrer Haustüre ein zweites Syrien entstehen könnte.» Die Schweiz schaue dabei nur zu und verstecke sich hinter ihrem Neutralismus, so der hier geborene Unternehmer mit armenischen Wurzeln.
In der Region Bergkarabach bekämpfen sich seit über einer Woche die verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan. Es herrscht Kriegszustand, zahlreiche Menschen sind bereits getötet worden. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, gezielt Zivilisten anzugreifen.
Die Armenier in der Schweiz machen auch ihrem Ärger über die Migros Luft. Deren Tochterfirma Migrolino pflegt geschäftliche Beziehungen mit dem aserbaidschanischen Staatskonzern Socar. Dessen Schweizer Ableger betreibt die Migrolino-Shops in den Socar-Tankstellen. Die Kooperation besteht seit 2012.
Der Socar-Konzern gehört zu einhundert Prozent dem autoritär regierten aserbaidschanischen Staat. Dieser bezieht seine Einkünfte zu einem grossen Teil aus dem Öl- und Gasgeschäft. Socar spielt dabei eine wesentliche Rolle. (Mehr zum Socar-Konzern hier.) Die Armenier in Zürich, die Aserbaidschan unter anderem Terrorfinanzierung vorwerfen, wettern daher: «Wer im Migrolino an einer Socar-Tankstelle ein Gipfeli kauft, unterstützt damit IS-Terroristen und auch den Einsatz von syrischen Söldnern in Bergkarabach.»
Kritische Töne kommen auch aus der Schweizer Politik. Stefan Müller-Altermatt, CVP-Nationalrat aus Solothurn, ruft mit Verweis auf ein Kriegspropaganda-Video, das der Socar-Konzern in den Sozialen Medien geteilt habe, zum Boykott der Socar-Tankstellen auf: «Ich tanke definitiv nicht bei Socar», schreibt er auf Twitter.
Die @migros hat da definitiv ein Problem mit dem Partner, der unverblühmt Kriegspropaganda betreibt.
— Stefan Müller-Altermatt (@MullerAltermatt) October 7, 2020
Ich tanke definitiv nicht bei Socar. Und für nächste Woche organisiere ich ein Treffen der Migros mit den Armeniern in der Schweiz. Da braucht‘s viel Erklärung. pic.twitter.com/ERgudgZO8k
Müller-Altermatt ist Mitglied der Parlamentarischen Gruppe Schweiz-Armenien. Zu CH Media sagt er: «Socar ist die Kriegskasse der autoritären Staatsführung von Aserbaidschan.» Dass die Migros mit dem Konzern geschäfte, «tut mir in der Seele weh». «Wenn ich im Migrolino ein Schoggistängeli kaufe, finanziere ich damit möglicherweise den Krieg mit, das geht einfach nicht», sagt Müller-Altermatt. Seine Forderung: «Die Migros soll raus aus der Partnerschaft!»
Der Nationalrat arbeitet nun daran, beide Parteien an einen Tisch zu bringen. Denn schliesslich, sagt er, habe er zu beiden Seiten eine gewisse Nähe. Zu Armenien, aber auch zur Migros. «Ich bin ein Migros-Kind», so Müller-Altermatt. In der kommenden Woche sei ein Treffen der Armenischen Gesellschaft mit Migros-Vertretern geplant.
Mit den Vorwürfen der Armenier konfrontiert, heisst es seitens der Migros bloss: «Wir verfolgen die derzeitige Lage im Kaukasus aufmerksam.»
Die Zusammenarbeit mit Socar, erklärt die Migros, laufe «in Form eines Masterfranchise-Agreements für den Betrieb der Migrolino Shops» an den Tankstellen der Socar Energy Schweiz. Das bedeute: Der Schweizer Socar-Ableger betreibt neben dem Treibstoffgeschäft auch die Verkaufsshops an 57 Standorten.
«Selbstverständlich», so die Detailhändlerin weiter, «geht die Migros nur Verträge unter Berücksichtigung von national und international gültigen Gesetzen ein.»