Lesestoff aus zweiter, dritter und vierter Hand – in den Bücherschränken Basels und Umgebung lässt sich so manches entdecken.
Wer kostenlos mehr über den «Umgang mit neurotischen Hunden» erfahren möchte, fährt nach Riehen; wer «Radioaktivität, Teil II» von Werner Stolz verpasst hat, begibt sich an die Dornacherstrasse, und wer sich für die skandalträchtige Liebesaffäre der «Lady Chatterley» interessiert, findet sie im schlichten Leineneinband am Bundesplatz. Doch Eile ist geboten: Alle drei Werke befinden sich in einem öffentlichen Bücherschrank.
Wikipedia weiss von acht Bücherschränken in der Region Basel, fünf davon stehen auf Stadtboden, zwei in Riehen und einer in Birsfelden. Unterhalten werden sie zumeist von Quartiervereinen, als Hülle dienen oft ausgediente Telefonkabinen: Was für Telefonbücher gut genug war, kann Gedrucktem generell nicht schaden. Daneben gibt es aber auch massgeschneiderte Hightech-Lösungen wie etwa auf dem Wettstein- oder dem Voltaplatz. Sogar ein richtiges Vogelhäuschen ist mit dabei: Darin haben immerhin zwei Weltreligionen («Islam und Christentum») und Verona Pooths verjährter Babybauch («Der kleine Feldbusch») Platz.
Natürlich wäre es verlockend, ein Psychogramm der Quartiere aufgrund der vorhandenen Werke zu erstellen, doch sind Zahl und Zusammenstellung der Bücher schier überwältigend: Literatur mit grossem L steht neben solcher mit Schreibschwäche, der «Tulpenkönig» (Bastei Lübbe) teilt sich an der Dornacherstrasse dasselbe Regal mit Voltaires «Candide».
Besonders hübsch, wenn das Zufallsprinzip Buchtitel miteinander ins Gespräch bringt: Albert Camus’ gesammelte Dramen gesellen sich zu «Das grosse Glück kommt nie allein», das Sachbuch «Technologischer Fortschritt und Risiko» lehnt sich an eine Bill-Gates-Biografie und «Sachen zum Lachen» steht Buchrücken an Buchrücken mit «Meine spirituelle Autobiographie» (Dalai Lama). Dass der neoliberale Vordenker Milton Friedman am Wettsteinplatz unter «Kinderbücher» eingeordnet wurde, bereitet kindliches Staunen.
Deutschsprachiges überwiegt, auch wenn sich deutsche oder Schweizer Autorinnen rarmachen: Sergius Golowin («Die weisen Frauen») wird gesichtet, Thomas Hürlimann («Der grosse Kater»). Die Baslerin Alexandra Lavizzari («Mädchen mit Leguan») wird von einem auf dem Buchrücken aufgeklebten Signaturschildchen als «Schweizer Autor» ausgewiesen. Überhaupt, Bücher mit Signaturen: Mit ihnen liessen sich ganze Bibliotheken füllen – die wohl auch das eine oder andere Exemplar vermissen dürften.
Bestsellerromane von Konsalik, Mankell et al. tauchen zwar regelmässig auf, bei den Buchtiteln insgesamt gibt es aber erstaunlich wenige Doppelungen. Von Eveline Haslers «Wachsflügelfrau» finden sich bei der Stichprobe zwar zwei Exemplare, doch stehen diese nebeneinander als Taschenbuch und gebundene Ausgabe am Bundesplatz. «Small World» heissen zwei Bücher an zwei verschiedenen Standorten, ohne sich allerdings denselben Autor – Martin Suter respektive David Lodge – zu teilen. So klein ist die Welt eben doch nicht.
Ausgelesen, ungelesen, aber deswegen nicht ungeliebt: Bücherschränke bieten einen besonderen Brutplatz für Literatur. Alles, was es dafür braucht, ist eine neugierige Hand – und die Worte singen.