Verworrene Beweislage in Bezug auf sexuelle Übergriffe: Heimbewohner wird mangels Beweisen von allen Vorwürfen freigesprochen.
Der Strafbefehl war kurios: Im September 2021 flatterte dem heute 49-jährigen Mann Post von der Baselbieter Staatsanwaltschaft ins Haus, wegen sexueller Nötigung verdonnerte sie ihn zur tiefstmöglichen Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 30 Franken.
Der Grund: Ein angeblich erzwungener Zungenkuss. Am Montag fragte Gerichtspräsident Christoph Spindler im Strafjustizzentrum in Muttenz den 49-Jährigen, weshalb er gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben habe.
Dieser verwies auf seinen Verteidiger, doch der Gerichtspräsident liess nicht locker. «Gab es den Zungenkuss?», fragte er. «Ja, den gab es», bestätigte der Mann. Er habe aber nicht gegen den Willen der Frau gehandelt. «Ich habe einfach Komplimente gemacht und ihr einen Kuss gegeben. Sie hat sich nicht gewehrt oder mich weggeschubst», sagte er.
Die Szene spielte sich im August 2020 in einem Wohnheim im Unterbaselbiet ab und war von einer dritten Person beobachtet worden. Diese schilderte den Ablauf allerdings gänzlich anders, der Mann habe nach dem Kuss eine Ohrfeige kassiert. Unbestritten war allerdings, dass die beiden nach dem Zungenkuss weggingen und miteinander Sex hatten. «Das stimmt. Aber nicht gegen ihren Willen», beteuerte der Mann am Montag vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte zuerst wegen Vergewaltigungsvorwürfen, stellte das Verfahren mangels Beweisen dann aber ein. «Ein Zungenkuss ist sexuelle Nötigung, aber ein anschliessender Geschlechtsverkehr soll nicht strafbar sein? Was soll das?», kritisierte Verteidiger Markus Trottmann und verlangte für seinen Mandanten einen Freispruch.
Einzelrichter Christoph Spindler wies allerdings darauf hin, dass die Frau an einer paranoiden Schizophrenie leide: Um ihre Aussagen bewerten zu können, bräuchte es laut bundesgerichtlicher Rechtssprechung zwingend ein Fachgutachten.
Darauf habe man aber verzichtet, zumal die Frau auch keinerlei Aussagen mehr machen will und in Ruhe gelassen werden möchte. Dies sei zu respektieren, so Spindler. Die Frau hatte offenbar auch Angst, ihren Heimplatz zu verlieren, denn Beziehungen zwischen Bewohnern würden nicht geduldet.
Beim Zungenkuss gebe es immerhin eine weitere Heimbewohnerin, die die Szene beobachtet habe, wobei deren psychischer Hintergrund nicht abgeklärt worden sei. Bei dieser zweifelhaften Beweislage könne das Gericht einzig einen Freispruch zugunsten des Mannes fällen. Spindler betonte, in einer solchen Konstellation hätte man den Fall keinesfalls per Strafbefehl erledigen dürfen.
Mit dem Freispruch erhält der Mann auch eine Haftentschädigung: Nach den Vorwürfen sass er zwei Tage in Untersuchungshaft, dies wird mit 400 Franken vergütet. Der Freispruch ist noch nicht rechtskräftig. Der 49-Jährige wohnt seit dem Vorfall in einem anderen Heim.
Eigentlich führte er ein unauffälliges Leben, verlor aber vor einigen Jahren nach Drogen- und Alkoholproblemen sowohl Job wie auch Wohnung. Nach einigen kleineren Brandstiftungen im Kleinbasel wies ihn das Basler Strafgericht im Mai 2017 (wir berichteten) in einer stationäre Suchttherapie.