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Die 49-jährige Angeklagte soll von der Baselbieter CVP und der katholischen Kirchgemeinde Grellingen 400'000 Franken veruntreut haben. Das seien Darlehen gewesen, behauptet die Angeklagte vor Gericht. Der Staatsanwalt sieht bei ihr indes grosse kriminelle Energie und fordert eine unbedingte Gefängnisstrafe.
Mit einer platinblonden Perücke auf dem Kopf und einem ausladenden schwarzen Poncho bekleidet tritt die Angeklagte am Dienstag vor das Baselbieter Strafgericht. Mit der obligatorischen Hygienemaske vor Mund und Nase ist sie kaum zu erkennen. Die 49-jährige Betriebsökonomin wird beschuldigt, als Kassierin der römisch-katholischen Kirchgemeinde Grellingen und der CVP Baselland zwischen Juli 2017 und November 2018 insgesamt 406'000 Franken veruntreut zu haben. Die Frau verfügte jeweils über eine Einzelzeichnungsberechtigung, konnte also in Eigenregie Zahlungen auslösen.
Das Geld floss anstatt in die nötige Sanierung des Grellinger Kirchturms und den Wahlkampf der CVP grossteils in den Umbau eines Country-Saloons im Laufental, den die Angeschuldigte gemeinsam mit einer Freundin betrieb. Die Vorwürfe weist die Frau allesamt zurück. Sie spricht mit hoher Stimme und leise, auf die Fragen von Gerichtspräsidentin Irene Laeuchli gibt sie meist nur knappe Antworten. «Ich will nicht mehr dazu sagen», und: «Ich kann mich nicht genau erinnern», sind ihre Standards.
Im Fall der Kirchgemeinde Grellingen hat die Frau bei sieben Überweisungen insgesamt 316'000 Franken auf ihr Konto transferiert. Damit die Kasse wieder zu liquiden Mitteln kommt, fälschte sie laut Staatsanwaltschaft das Protokoll einer Kirchgemeindeversammlung. Mit dem angeblichen Beschluss zur Sanierung des Kirchturms in der Tasche beantragte sie bei der Bank einen Überbrückungskredit. Auf die Frage der Gerichtspräsidentin, weshalb in den Akten zwei unterschiedliche Protokollversionen auftauchen und wer, wenn nicht die Angeklagte, die zweite erstellt habe, sagt sie bloss: «Ich habe kein Protokoll gefälscht.»
Um die hohen Bezüge als Darlehen zu kaschieren, erstellte sie eine Aktennotiz und kopierte laut Anklageschrift die Unterschrift der Kirchgemeindepräsidentin in das Dokument. Vor Gericht stellen die Frau und ihr Verteidiger das Vorgefallene als inoffizielle Übereinkunft zwischen ihr und der Kirchgemeindepräsidentin dar, schwärzen damit letztere an. Kassierin und Präsidentin wären denn auch nicht dazu befugt, in Eigenregie über ein solches Darlehen zu entscheiden. Der Anwalt der Kirchgemeinde weist die Darstellung der Angeklagten als abstrus zurück: «Weshalb soll sich die Präsidentin dazu hinreissen lassen, im Namen der Kirchgemeinde ein Darlehen in dieser Höhe zu gewähren?» Und selbst wenn es dieses gegeben hätte:
«Weshalb hat dann die Präsidentin noch am Tag, als sie das Loch in der Kasse entdeckte, selber Strafanzeige eingereicht und sofort die Landeskirche als Aufsichtsbehörde informiert?»
Von «lächerlichen Behauptungen» spricht auch die Anwältin der CVP. In diesem Fall hat die Angeklagte 90'000 Franken abgezweigt. Laut Verteidiger stand dahinter die «taktische Überlegung», Wahlkampfausgaben der Partei besser von einem privaten Konto aus zu tätigen. Worin genau die taktischen Vorteile bestehen, sagen beide nicht. Mit diesem Geld habe sie Rechnungen der Partei bezahlt, beteuert die Angeklagte. Eine Nachfrage bei den Lieferanten ergab allerdings, dass es solche nur vereinzelt gab – und vor allem nicht in dieser Höhe. Folglich wurden Rechnungen gefälscht. Auf die Frage, wer dafür verantwortlich sei, verweist ihr Anwalt auf Trojaner, die zu jener Zeit den PC der Angeklagten heimgesucht hätten. Der Verteidiger tadelt, dass die Staatsanwaltschaft den mutmasslichen Hackerangriff nicht genauer untersucht habe.
Floss das Geld nun in den Wahlkampf der CVP, als Vorauszahlung für Rechnungen oder doch eher in den Country-Saloon? «Eine derart widersprüchliche Argumentationslinie ist nicht nachvollziehbar», schiesst der Staatsanwalt in seinem Plädoyer verbal zurück. Der vorliegende Fall sei nicht nur durch eine «sehr hohe» Deliktsumme gekennzeichnet, sondern auch durch eine Beschuldigte, die uneinsichtig sei und die in «einem selten gesehenen Ausmass lügt».
«Sie griff skrupellos dort zu, wo es Geld hatte. Sie bediente sich einfach.»
Das Verschulden der Frau wiege schwer. Sie habe eine grosse kriminelle Energie an den Tag gelegt, das zeigten etwa die Folgehandlungen der Vertuschung und der Versuch, die Kirchgemeindepräsidentin quasi zur Mittäterin zu machen. Die Staatsanwaltschaft fordert wegen mehrfacher qualifizierter Veruntreuung, mehrfacher Urkundenfälschung und falscher Anschuldigung eine teilbedingte Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren sowie ein halbes Jahr unbedingt.
Demgegenüber beantragt der Verteidiger eine Einstellung des Verfahrens mangels eines Tatbestandes: Seine Mandatin habe im Mai 2020 sämtliche Beträge an die Kirchgemeinde und die CVP zurückbezahlt. «Niemand wurde geschädigt. Es liegt kein strafrechtlich relevantes Verhalten vor», folgert er. Diametral anders beurteilt dies der Staatsanwalt: Die Rückzahlung könnte bei der Strafzumessung eine Rolle spielen, machte aber die Taten nicht ungeschehen. Die Angeklagte zeige weder Einsicht noch Reue. Das Dreiergericht fällt sein Urteil am Mittwoch, 26. Mai.