Die Kommunikationsbeauftragte des Grossen Rates zeichnet in ihrem Buch «Auf zur Urne!» die Entwicklung und die Umsetzung der direkten Demokratie in Basel nach. Anhand von Abstimmungen und Analysen zeigt sie, dass in Basel um jeden Beschluss gekämpft wurde und wird.
Seit 1848 haben die Basler Stimmberechtigten über mehr als 1300 Vorlagen abgestimmt – je etwa zur Hälfte über solche des Bundes und über solche des Kantons. In keinem anderen Kanton wurden so viele Initiativen und Referenden eingereicht. Das ist erstaunlich, denn eigentlich war Basel-Stadt ein Spätzünder: Die direkte Demokratie wurde erst 1875 eingeführt und damit vier Jahrzehnte später als beispielsweise im Nachbarkanton Baselland.
Seit aber die Basler die direkte Demokratie kennen, nutzen sie sie intensiver als andere. Das hat auch damit zu tun, dass Basel-Stadt gleichzeitig für die Themen des Kantons und einer grossen Stadtgemeinde zuständig ist. Aber direkte Demokratie in Basel ist anstrengend, denn anders als in Baselland, wo viele Gesetze dem Volk obligatorisch vorgelegt werden, muss man in Basel um jedes Gesetz und jeden Beschluss, über den man abstimmen will, kämpfen. So wurde Basel zu einem richtigen Bienenstock der direkten Demokratie: Fast permanent werden Unterschriften für irgendein Anliegen gesammelt.
Dass wir das alles jetzt ganz genau wissen, verdanken wir Eva Gschwind. Die Politologin und Journalistin, die als Kommunikationsbeauftragte des Basler Grossen Rates tätig ist, hat zweierlei zu Stande gebracht: erstens eine Website, zweitens ein Buch. Auf der verdienstvollen, auf akribischer Recherche beruhenden Website baselvotes.ch kann man sämtliche baselstädtischen Volksabstimmungen seit 1875 mit allen dazugehörigen Zahlen und Daten nachgucken.
Im Buch «Auf zur Urne!» zeichnet die Autorin die spannende Geschichte der rund 150 Jahre direkter Demokratie in Basel-Stadt nach, ohne das Volk zu glorifizieren. Denn die Mehrheit hat nicht immer vernünftig entschieden und gerade in der Stadtentwicklung auch vieles verhindert, was Basel gutgetan hätte. Aber man spürt, dass Eva Gschwind die direkte Demokratie insgesamt für eine segensreiche Errungenschaft hält.
Interessant ist die Erkenntnis, dass Volksrechte letztlich zu mehr Volksrechten führen. Anfang des 20. Jahrhunderts fügten die Stimmberechtigten der Parlamentswahl, der Initiative und dem Referendum auch die Volkswahl der Regierung, des Ständerates und der Richter hinzu. Im dritten Anlauf hiessen sie schliesslich die Proporzwahl des Grossen Rates gut, im fünften Anlauf sagten sie 1966 Ja zum Frauenstimmrecht. Gescheitert sind das tiefere Stimmrechtsalter, bevor es dann im Bund durchkam, und das Ausländerstimmrecht.
Genützt haben Volksentscheide vor allem dem Mieterschutz, der Energiepolitik, dem öffentlichen Verkehr oder der Begrünung der Stadt. Eine Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer hat das Volk fünf Mal verworfen. Manche Entscheide fielen äusserst knapp: Die Proporz-Initiative wurde 1905 mit nur zehn Stimmen Mehrheit angenommen, die Initiative, die ein Schulgeld für Auswärtige verlangte, wurde 1914 mit bloss sechs Stimmen Mehrheit verworfen, und die Initiative für die Verkleinerung des Grossen Rates fiel 1916 gar mit nur zwei Stimmen Mehrheit durch.
Das wäre im Kanton Glarus undenkbar: Dort muss der Landammann an der Landsgemeinde die Stimmen schätzen. Solche geringen Unterschiede könnte er bei 6'000 Mitstimmenden nie erkennen.
Die direkte Demokratie gab in Basel-Stadt aber auch Anlass zum Ärger. Viele Volksinitiativen hat der Regierungsrat einfach liegengelassen, verschleppt. Die Landesring-Initiative zur Überdachung der Eisenbahn kam erst nach 38 Jahren zur Abstimmung. Über den Gesamtverkehrsplan hat die Bevölkerung gar nie abgestimmt. Viele beschlossene Volksinitiativen setzte der Regierungsrat einfach nicht um.
Neuerdings passt aber das Parlament besser auf, und die Behandlungsfristen sind kürzer. Ausserdem wurden viele Volksinitiativen wieder zurückgezogen, weil durch Gegenvorschläge oder durch Verhandlungen sinnvolle Lösungen erarbeitet wurden. Manche Abstimmungen mögen auch drollig erscheinen: So entschied der Basler Souverän 1959 über eine Rolltreppe am Bahnhof SBB und 1967 über den Ankauf zweier Bilder von Picasso.
Das Buch von Eva Gschwind ist äusserst informativ, gut geschrieben und reich illustriert. In einem farbigen Bildteil zeigt die Autorin, welche städtischen Bauten und Anlagen durch Volksabstimmungen verworfen, gutgeheissen oder gerettet worden sind. Anschaulich resümiert sie, wie direkte Demokratie funktioniert.
Und sie zieht Bilanz: 1875 waren 13 Prozent der Bevölkerung stimmberechtigt, heute sind es 52 Prozent (wegen des hohen Ausländeranteils), 1989 (mit den Frauen und den Jungen) waren es 68 Prozent. Die Stimmbeteiligung war am tiefsten in den 60-Jahren (um 30 Prozent), am höchsten in den 20-Jahren (gegen 60 Prozent), heute beträgt sie um 50 Prozent. Von den Referenden waren 40 Prozent erfolgreich, von den Initiativen 37 Prozent.
Eva Gschwind: Auf zur Urne! Direkte Demokratie in Basel von den Anfängen bis heute. Basel: Christoph Merian Verlag 2022, 34 Franken.