Circus Maus
Dieser Dompteur zähmt auch noch mit 72 Jahren: Heini Gugelmann, der Tigerbändiger

Heini Gugelmann ist ein Exot im Kulturdschungel. Dompteur Heini Gugelmann zähmte einst Tiger, heute tritt er mit seinen Hühnern in Opernhäusern auf.

Mélanie Honegger
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Seit bald fünfzig Jahren im Geschäft: Heini Gugelmann.

Seit bald fünfzig Jahren im Geschäft: Heini Gugelmann.

Kenneth Nars

Es ist eine seiner Paradenummern: Eine Ziege springt flink von einem Podest zum anderen, durch Silberreifen, über andere Ziegen hinweg. Heini Gugelmann, Tiertrainer in rotem Edelweiss-Gilet, weibelt umher.

Acht Jahre sind seit diesem Auftritt vor der Fondation Beyeler mittlerweile vergangen. Eine Tiershow vor einer der renommiertesten Kunstsammlungen der Schweiz? Mit Heini Gugelmann geht das. Der Tierpfleger ist ein Kuriosum an diesem prestigeträchtigen Ort, ein Exot in der Welt der Hochkultur. Der 72-Jährige hustet, vor sich eine Tasse Tee. «Eine Dauererkältung, wie alle», erklärt er. Er sitzt im Wohnwagen in der Liestaler Allee, auf dem Tisch flackern drei lange Kerzen. Seit bald fünfzig Jahren tingelt Gugelmann mit seinem Circus Maus durch die Zirkuswelt. Er hat Tiger und Pumas trainiert, sich von einem Löwen seinen Arm zerfetzen lassen. Je älter er wird, desto kleiner sind die Tiere, mit denen er arbeitet. Die Wildtiere sind Hauskatzen gewichen.

Circus Maus am Adventszauber

Jeden Mittwoch im Dezember

ab 14 Uhr, Allee Liestal

Im Anschluss Workshop für Kinder

www.lastrada.fulcanelli.ch

Einige von ihnen hat er vor zwei Jahren verloren. Damals ist der Wohnwagen von Gugelmann ausgebrannt, sechs Tiere sind gestorben. «Der Brand, der hat mich schon mitgenommen. Nicht das Geld, nicht die Ware, sondern, dass diese Tiere verbrannt sind», erzählt er. Der Verlust der Tiere, dieser Schmerz, der macht Gugelmann zu schaffen. Trotzdem will er ihnen nicht mehr hinterhertrauern. «Ich habe sie begraben und ein Blümchen gepflanzt, aber wenn es im Herbst verblüht, dann ist das auch okay.» Er wolle keine neuen Tiere, die würden ihn nur überleben. Lange gehe es bei ihm ja sicher nicht mehr, den Zenit habe er längst überschritten. Er habe Angst vor dem Altern, ja. Vor drei Jahren hatte er einen Herzinfarkt, landete im Spital Liestal. «Ein Vorgeschmack auf die Hilflosigkeit», sagt Gugelmann.

Der Tod beschäftigt ihn. Vor drei Wochen hat er seinen besten Freund an den Krebs verloren, den Zirkusmacher Jürg Jenny. «Die beiden waren ein Herz und eine Seele», erzählt Miguel Engewald. Auch deswegen hat sich der Geschäftsführer der Baselbieter Vulcanelli GmbH dafür eingesetzt, dass Gugelmann mit seinen Ziegen in der Adventszeit den «Einsiedlerhof» verlässt und nach Liestal kommt. «Ich merke, dass ihm der Tod von Jürg zusetzt», erzählt der Kollege, «er ist schlagartig älter geworden.»

«Wenn man Geld verdienen will, macht man keinen Zirkus»

Auf dem Kleinblauen, irgendwo zwischen Blauen und Nenzlingen, lebt Gugelmann in seinem Wohnwagen, alleine inmitten von Tieren. Morgens um 6 Uhr steht er auf, bringt dem älteren Vermieter im benachbarten Bauernhaus dessen Medikamente, streicht ihm ein Frühstücksbrot. Er ist gesellig, hat viele Freunde. Und Freundinnen: «Die bringen mir dann Kuchen, obwohl ich doch gar nicht so viel davon essen sollte», lacht er. Eine Partnerin hat er aber nicht. «Ich hatte viele schöne Beziehungen», erzählt er, «aber es hat sich einfach nicht ergeben.»

Draussen hören die Kollegen bereits Weihnachtslieder. «Last Christmas, I gave you my heart» – der Kitsch ist bis in den Wagen zu hören. Er kenne Leute, die in der Scheidung sind, erzählt Gugelmann. «Die streiten sich dann um ein Sofa, unglaublich.» Seit Lebzeiten ist Heini Gugelmann das Nomadentum näher als ein trautes Heim. Nach der Kunstgewerbeschule in Basel absolvierte er eine Lehre als Landwirt. Eigentlich wollte er erst einmal in einem Zoo arbeiten, doch er schaffte den Sprung in den Zirkus schneller als erhofft. Als Tiertrainer war er in Europa und den USA unterwegs, reiste um die Welt. «Damals war ich noch jung und einigermassen gutaussehend» so sein Kommentar, «davon ist nicht mehr viel geblieben.»

War auch als Schauspieler tätig

In Deutschland arbeitete Heini Gugelmann bei zahlreichen Filmproduktionen mit, auch als Schauspieler. Er geniesst es, von seinen Erlebnissen zu erzählen – und mit der gnadenlosen Filmwelt und ihren Regisseuren abzurechnen. Schlingensief? «Pseudojovial». Fassbinder? «Total verkokst». Er kennt die Geheimnisse und Abgründe der deutschsprachigen Szene. Weiss, dass sich Mathias Gnädinger jeweils schon beim Betreten des Sets die ersten Schoggistängeli vom Cateringtisch geschnappt hat. Er liebt es, solche Anekdoten zu erzählen. Dann blüht er auf, lacht schelmisch.

Obwohl er dem Schauspielerberuf den Rücken gekehrt hat – «lieber schaufle ich Kohle!» – ist Heini Gugelmann bis heute auf der Strasse und in den besten Theaterhäusern zuhause. Im Januar arbeitet er wieder für das Opernhaus Zürich. Seine drei Hühner haben in der Wiederaufnahme der «Zauberflöte» einen Auftritt. Bei der Ouvertüre sitzen sie brav auf der Bühne, später bei Papageno auf dem Arm. Damit das klappt, braucht es Gugelmann. Er rauscht hinter und – in Notfällen – auch auf der Bühne umher, ganz in Schwarz. «Ich könnte eine Bank überfallen, so eingepackt bin ich.»

Etwas mehr Geld könnte ihm denn auch nicht schaden. Hätte er mehr davon, er würde in den kalten Wintermonaten mitsamt den Tieren in den Süden flüchten. «Wenn man Geld verdienen will, macht man eine Bank auf oder eine Sekte, aber sicher keinen Zirkus», sagt er dazu nur. Sein Leben sei ein Privileg, «gerade im Vergleich zu denen, die täglich zur immer gleichen Zeit ins gleiche Büro müssen».

Mit seinen Sonderwünschen eckt er immer wieder an

Trotz Verbandelungen bis in die Untiefen der Theaterszene hat Heini Gugelmann keine Ambitionen mehr. Mit seinen vier Katzen tritt er ohne Gage in Altersheimen in der Region auf. «Falls es schief geht, kann mir niemand böse sein», sagt er. Das Publikum liebt Gugelmanns Kultzirkus. Nicht selten fliessen bei den älteren Personen Tränen, wenn der Künstler mit seinen Katzen bei ihnen auftaucht. «Es müssen nicht immer Höchstleistungen sein, das wollen die Leute gar nicht mehr», so der Dompteur.

Der wilde Stil einiger Kollegen, die mit Peitschenhieben arbeiten, war ihm schon immer zuwider. Mit seiner Forderung, für alle seine Tiere ein grosszügiges Aussengehege zu erhalten, eckte Gugelmann jeweils an. Bis heute sei er sich und seinen Werten treu geblieben, sagt Kollege Engewald. Seit zwanzig Jahren arbeitet er mit Gugelmann zusammen. «Es war nicht immer einfach für ihn», sagt der Veranstalter, «beim Brand hat er seine treusten Mitarbeiter verloren.» Doch Heini Gugelmann hatte Glück im Unglück: Eine läufige Katze, die während des Brandes auf der Suche nach einem Partner war, überlebte – und schenkte ihrem Boss schon bald neue Artisten.