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Traditionelle Altersheime haben ausgedient. Für viele Probleme des Alterns liegt die Lösung in der Auseinandersetzung mit dem Tod, sagt der Altersexperte Markus Leser.
Markus Leser: Sie werden wohl in Ihren eigenen vier Wänden wohnen, mit der Unterstützung die Sie wollen und brauchen. Die Menschen werden künftig noch viel häufiger in ihren Wohnungen bleiben und dort Dienstleistungen und Pflege in Anspruch nehmen. Die Langzeitpflege hat sich stark gewandelt. Wenn wir 100 Jahre zurückblicken, waren die Institutionen Verwahranstalten für alte Menschen. Sie wurden von Krankenhäusern und in den 1980er-Jahren von Wohnheimen abgelöst. Der traditionelle Altersheimbau hat definitiv ausgedient.
Sie sehen das an diesem Haus hier, dem Südpark: Es hat einen starken Quartierbezug, ist nach aussen offen. Es scheint wie ein Hotel, es gibt Raum für Begegnungen. Die Bewohner haben Appartements mit 2 bis 3 Zimmern. Der Anspruch an den Wohnraum ist in den letzten 30 Jahren gestiegen, mit einem 12 Quadratmeter grossen Zimmer ist niemand mehr zufrieden. Sicher ist, dass sich mit Pflegeinstitutionen der fünften Generation die heute bestehende Dualität zwischen individuellem und institutionellem Wohnen auflösen wird. Wie jemand wohnt, wird vom Bedarf an Unterstützung abhängen.
Die Vielfalt, wie Menschen im Alter wohnen, wird grösser. Die individualisierten Lebensentwürfe setzen sich in der Alterspflege fort. Wer in einem Haus wohnt, wird so lange wie möglich dort bleiben. Hinzu kommt der Trend, dass Menschen künftig mehr teilen werden. Sie werden in Hausgemeinschaften zum Beispiel in einer Wohnung leben, aber das Einkaufen und den Garten teilen. Das funktioniert, ein Beispiel ist das Generationenhaus in Zürich. Eine Frau hat mir beispielsweise von ihrem Traum erzählt, in einer Wohnwagengemeinschaft zu altern.
Die Spitex wird es weiter brauchen. Hinzu kommen Angebote die bei allem helfen, was es braucht, um zu Hause bleiben zu können, also putzen, kochen und einkaufen. Wenn es aber eine spezialisierte Leistung braucht, weil eine Person 24 Stunden Pflege benötigt, an einer Demenz leidet oder am Lebensende palliative Begleitung braucht, wird die Versorgung zu Hause auch künftig an die Grenze stossen.
Das ist ein schrecklicher finanzpolitischer Slogan, der aus fachlicher Sicht nicht funktioniert: Es braucht beides, ambulant und stationär. In beiden Bereichen wird es eine weitere Differenzierung geben. Vor 30 Jahren hat kaum jemand über Wohngemeinschaften im Alter gesprochen. Es werden neue Angebote dazu-kommen.
Das ist denkbar. Für Menschen aus Spanien und Italien gibt es die schon. Im Ruhrgebiet hat es erste Heime für Muslime. Wenn in der Schweiz die Nachfrage da ist, dann wird es diese geben.
Der Quartiergedanke war immer da. Er kommt aber durch die Formel ambulant oder stationär zu kurz. Die Formel müsste Wohnen und Soziales und Pflege heissen. Die drei Dinge gehören zusammen, im Quartier, im Dorf oder wo auch immer.
In der Diskussion wird der Ortswechsel überbewertet. Ein Umzug im hohen Alter ist eine Herausforderung, aber das ist er auch mit 60. Besonders schwierig wird es, wenn er in einer Abhängigkeit geschieht. Sich dies einzugestehen ist viel schwieriger als der Ortswechsel.
Ich hoffe, es wird ein Umdenken geben. Ich bin halb optimistisch und halb pessimistisch. Vor 30 Jahren habe ich gehofft, dass das Altersbild und das Nachdenken über das hohe Alter besser werden. Nun scheint mir, es ist schlechter geworden.
Das Image des Alters wird durch eine Entweder-oder-Diskussion geprägt. Akzeptiert ist das dritte Lebensalter, zwischen 60 und 80. Da sind die Leute fit und sie haben genug Geld. Denen kann man noch etwas verkaufen, zum Beispiel Ferien. Dann kommt das vierte Lebensalter, das hohe Alter über 85. Da geht es nur um Abhängigkeit, Krankheit, Kosten. Dann kommen verheerende Sätze wie ‹lieber assistierter Suizid als in ein Heim›. Wobei mit Heim das düstere Bild der Verwahranstalten der 1940er-Jahre gemeint ist, die es nicht mehr gibt.
Es bräuchte die Fähigkeit, über den Jugendlichkeitswahn, Leistung und Konsum hinauszudenken. Da ist nicht nur das andere Extrem wie Demenz und Pflege. Es gäbe auch Lebensformen geistiger Art, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Viele schieben das lieber weg. Alt werden nur die andern. Aber altern ist ein Prozess, der nicht erst mit 85 beginnt. Er dauert lebenslang, spitzt sich am Lebensende zu und endet mit dem Tod. Das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Unsere Gesellschaft ist Meisterin im Verdrängen. Aber es braucht eine ehrliche Auseinandersetzung. Was will ich, wenn es ums Sterben geht? Sterben und Tod sind nicht für das hohe Alter reserviert, ein Schicksalsschlag oder eine Krankheit stellen alles auf den Kopf. Ich empfehle jedem 30-Jährigen, sich diese Gedanken zu machen und eine Patientenverfügung auszufüllen. Solange sich Menschen gegen den Gedanken an den Tod wehren, entstehen schwierige Situationen. Ich habe das bei Pro Senectute oft erlebt. Es gibt viele, die einsam in ihrer Wohnung sterben.
Sich die Frage zu stellen, wie man sich Sterben vorstellt. Die meisten haben nicht Angst vor dem Tod an sich, sondern fürchten das Sterben, das Wie, alleine zu sein, an Schläuchen zu hängen, dass etwas Unmenschliches geschieht. Würde man sich an den Grundsätzen der Palliativ-Pflege orientieren und dort alles ausschöpfen, gäbe es mehr Menschen, die weniger Angst haben vor dem Sterben.
Es braucht eine viel stärkere Sensibilisierung für die ethische Debatte, wann man jemanden sterben lässt. Die Frage darf nicht sein, was machbar, sondern was für die Person sinnvoll ist. Das bedingt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Tabuthema Tod.
Die Lösung kann nicht nur sein, mehr Pflegebetten zu schaffen. Es braucht fliessende Grenzen, nicht nur zwischen Wohnen zu Hause und Pflege, auch bei der Betreuung im Bereich der Nachbarschaftshilfe. Freiwillige könnten unter Anleitung in Wohngruppen mithelfen. Man kann das hohe Alter nicht immer delegieren. Und es braucht unkonventionelle Überlegungen.
Modelle wie die Sozialzeit. Das sind innovative Ansätze, die nicht das Finanzielle betonen. In St. Gallen scheint es zu funktionieren. Wir haben keine Garantien, dass es in 20 Jahren noch funktioniert – aber die haben wir mit dem Geld auch nicht.
Sie muss sie finanzieren. Das ist für mich ärgerlich, dass wir beim hohen Alter nur über die Kosten debattieren. Diese werden durch die Krankenkassen, Kantone und Gemeinden hin und her geschoben, die Heime und die alten Menschen bleiben auf den Kosten sitzen. Wir arbeiten als Gesellschaft daran, dass der Mensch immer älter wird. Dann sind wir plötzlich nicht mehr bereit, dafür zu bezahlen. Weil es immer um die Kosten geht, ziehen leider auch Menschen assistierten Suizid in Betracht, weil sie keine Last sein wollen. Das ist beschämend, vor allem in der reichen Schweiz.
Der Staat kann nicht alles finanzieren, alle Finanzierungspartner müssen sich an die Regeln der neuen Pflegefinanzierung halten und die Kosten gemeinsam tragen. Also die tatsächlichen Kosten, nicht die politisch viel zu tief festgesetzten.
Es gibt Hinweise dafür. Die Zeit, die jemand pflegebedürftig ist, wird wahrscheinlich immer etwa gleich teuer bleiben.
Das wird kommen. Ob es Roboter sein werden, weiss ich nicht. Sicher wird Technik vermehrt selbstständiges Wohnen unterstützen. Schon heute sind Wohnungen mit Überwachungssensoren ausgerüstet, die Alarm auslösen, wenn jemand stürzt. Auch in der Langzeitpflege kann Technologie Sinn machen, zum Beispiel bei der Überwachung und bei schwerer körperlicher Arbeit. Generell gilt: Technologie wird Menschen in der Pflege nie ersetzen können. Und der Fachkräftemangel wird für uns vorerst eine Herausforderung bleiben.