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Von Null auf Platz fünf: LDP-Kandidatin Stephanie Eymann schrammte nur knapp an der Sensation vorbei. Für den zweiten Wahlgang ist sie nun überraschend in der Favoritenrolle.
«Meine Güte war das knapp! Ich bin noch immer völlig baff.» Nach Bekanntgabe der definitiven Resultate der Basler Regierungswahlen tönt Stephanie Eymann, als hätte sie gerade einen Hollywood-Thriller gesehen. Nach den Briefstimmen lag sie am Mittag noch knapp über dem Absoluten Mehr. Mit den Urnenstimmen fehlten schliesslich schlappe 79 Stimmen zum Sprung in die Regierung. Das entspricht nur 0,3 Prozent ihres Resultates und ist zudem noch ihr Jahrgang, wie die LDP-Kandidatin lachend feststellte. «Die Freude über das gute Resultat überwiegt klar.»
In den zweiten Wahlgang am 29.November geht die Fünftplatzierte nun als Spitzenkandidatin. Ungewohnt: Denn Eymann hatte lange Zeit niemand auf der Rechnung. Die Baselbieter Polizeikommandantin lebt erst seit eineinhalb Jahren wieder in Basel, wo sie aufgewachsen ist. «Und einen politischen Leistungsausweis habe ich hier im Kanton auch noch keinen», sagt sie.
— Stephanie Eymann (@EymannStephanie) October 25, 2020
Sie selber habe sich vielleicht eine 50-Prozent-Chance eingeräumt, dass sie es auf einen Platz unter den ersten sieben schaffe. «Ich hätte erwartet, dass die Linken klarer hinter ihren vier Kandidierenden stehen.» Es habe sich gezeigt, dass auch die SP als wählerstärkste Partei nicht problemlos ihre Amtsträger ersetzen kann. Und bei Ackermann seien viele mit der Amtsführung über die vergangenen vier Jahre unzufrieden gewesen.
Neben Eymann schafften es noch SP-Mann Kaspar Sutter und FDP-Sicherheitsdirektor Baschi Dürr auf die potenziellen Regierungsplätze. Entsprechend optimistisch geht die LDP-Kandidatin in die zweite Runde: «Man hat unserem bürgerlichen Viererticket keine grossen Chancen eingeräumt. Aber offenbar gibt es viele Leute, die mit der Arbeit der rot-grünen Regierungsmehrheit nicht zufrieden sind. Wir haben gute Chancen auf einen Machtwechsel. Jetzt erst wollen wir ihn erst recht.»
Das gute Resultat bestätigt auch das Abschneiden von Eymann bei der Kür der künftigen Regierungspräsidentin. Auch hier liess sie die Bisherige, Elisabeth Ackermann, hinter sich, auch wenn der Vorsprung etwas weniger deutlich ausfiel als bei den Regierungswahlen (35,7 Prozent gegenüber 33,7 Prozent der Stimmen).
Zum Vergleich: Baschi Dürr landete vor vier Jahren als Bisheriger im ersten Wahlgang so deutlich hinter Ackermann, dass er tags darauf seine Kandidatur als Regierungspräsident zurückzog. Chancenlos blieb hier die Grünliberale Esther Keller, die rund einen Fünftel der Stimmen holte. Offenbar haben das linke und das bürgerliche Lager in dieser Frage ziemlich geschlossen für ihre Frauen gestimmt. Da keine der Kandidatinnen das absolute Mehr erreicht, kommt es auch beim Regierungspräsidium zu einem zweiten Wahlgang Ende November.
Auch LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein war gestern überrascht vom guten Abschneiden ihrer Kandidatin. «Das Resultat ist eine Sensation. Wir wussten, dass sie gut ist und bei den Leuten ankommt. Aber dass sie so gut abschneiden wird, damit haben wir nicht gerechnet. Die Resultate zeigen, dass Stephanie Eymann auf ganzer Linie überzeugt hat. Sie bringt mit, was Ackermann fehlt: ein überzeugender Auftritt.»
Viele erklärten Eymanns Resultat am gestrigen Wahlkampf auch mit dem Umstand, dass die Bürgerlichen im Vergleich zu 2016 auch eine weibliche Kandidatur auf dem Ticket hatten. Tatsächlich wäre Eymann die erste bürgerliche Regierungsrätin des Kantons. Das dürfte auch viele Wähler aus dem Mitte-Links-Lager motiviert haben, sie auf die Liste mit draufzuschreiben. Sicherlich nicht zu ihrem Nachteil war ihr Nachname. Von ihrem Onkel und Nationalrat Christoph Eymann ist bekannt, dass er viele Stimmen bei der SP holt.
Für die bürgerlichen Parteien ist damit auch die Taktik aufgegangen, nicht noch einmal den Schulterschluss mit der SVP zu suchen. Alle vier bürgerlichen Kandidaturen landeten in den Top 7, also auf den potenziellen Regierungsplätzen. SVP-Kandidat Stefan Suter dagegen blieb chancenlos – ob er mit bürgerlichem Support wesentlich besser abgeschnitten hätte, bleibt Kaffeesatzlesen.
Bis sie wieder in den Wahlkampf starten kann, muss sich Eymann allerdings noch ein paar Tage gedulden. Wegen mehrerer Coronafälle in ihrer Familie sitzt sie seit Samstag in ihrer Wohnung in Quarantäne, noch bis zum 1.November.
Ihr Vater, der langjährige LDP-Grossrat und Kleinbasler Arzt Felix Eymann, und ihre Mutter liegen mit Covid-19 im Spital. «Der Tag war emotional ein einziges Auf und Ab», sagt sie. Immerhin: Zum Abschluss gab’s am Abend noch ein Besuch. Die bürgerlichen Mitstreiter liessen es sich nicht nehmen, Eymann von der Strasse aus zu gratulieren.
Soland und Jans (SP) sowie Engelberger (CVP) und Cramer (LDP) klar gewählt.
Finanzdirektorin zu sein, ist eine gute Ausgangslage. Nachdem die vergangenen drei Mal ihre Vorgängerin und Parteikollegin Eva Herzog auf dem ersten Rang landete, schaffte gestern Tanja Soland (SP) mit deutlichem Abstand das Spitzenresultat bei den Regierungsratswahlen (33175 Stimmen). Und das, obwohl Soland von den Bisherigen die Amtsjüngste ist. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr wurde sie in die Basler Exekutive gewählt und gestern klar bestätigt. Platz zwei beziehungsweise drei gehören Lukas Engelberger (CVP, 30625 Stimmen) und Conradin Cramer (LDP, 29348 Stimmen).
Bei beiden war das gute Abschneiden erwartet worden. Der Gesundheitsdirektor und der Bildungsdirektor schafften die Wahl schon vor vier Jahren problemlos. Engelberger dürfte auch davon profitiert haben, dass er als Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz derzeit wegen der Coronapandemie in den Medien präsent ist.
Auf Platz vier landet Beat Jans mit 28751 Stimmen – beachtlich für einen Neueinsteiger. Der künftige SP-Regierungsrat profitierte von seiner Bekanntheit als langjähriger Nationalrat. Auffallend: Das Spitzenquartett setzt sich klar von den übrigen Kandidierenden ab. Zwischen Soland auf dem ersten Rang und Jans auf dem vierten liegen rund 4400 Stimmen. Fast gleich viel dahinter liegt Eymann auf Platz fünf.
Ebenfalls in den Top 7 und damit gute Chancen im zweiten Wahlgang haben Kaspar Sutter (SP) und der bisherige Justiz- und Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP). Dürrs Vorsprung auf Esther Keller fällt mit knapp 300 Stimmen aber denkbar knapp aus. Die Grünliberale war gestern neben Eymann die zweite Überraschung. Sie konnte offenbar viele Stimmen aus anderen Parteien auf sich vereinen. Keller dürfte nun von der Ausgangslage profitieren, dass im zweiten Wahlgang noch drei Regierungssitze zu vergeben sind. Bei zweien wäre sie Gefahr gelaufen, zwischen dem linken und dem bürgerlichen Lager zwischen die Bänke zu fallen. Sehr schwierig wird die Ausgangslage für Elisabeth Ackermann (Grüne). Sie muss auf der linken Seite stark mobilisieren, um im zweiten Wahlgang noch eine Chance zu haben.
Der SVP-Kandidat Stefan Suter blieb chancenlos. Er müsste seine Stimmenzahl praktisch verdoppeln, um den Sprung in die Regierung zu schaffen. Doch die SVP hat gute Karten im Machtpoker mit den anderen bürgerlichen Parteien. Als Zugeständnis für die Unterstützung von Eymann oder Dürr kann sie versuchen, doch noch einen Platz auf dem bürgerlichen Ticket herauszuhandeln. SVP-Parteistratege Joël Thüring verweist zwar auf die heutige SVP-Versammlung, lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass seine Partei dieses Pfand nun einsetzen soll. Er sagt auf Anfrage: «Ein bürgerliches Dreier-Ticket mit Dürr und Eymann wäre im zweiten Wahlgang natürlich ideal für uns.»
Kein Thema mehr im zweiten Wahlgang dürften Politkünstler Christian Müller (FUK) und der rechtsextreme Querulant Eric Weber (VA) sein. Christine Kaufmann (EVP) indes, die sich über gut 11000 Stimmen und, wie sie selber meinte, ein «beachtliches Ergebnis» freute, will den heutigen Vorstandsentscheid abwarten, ehe sie sich für oder gegen den zweiten Wahlgang entscheidet. Immerhin meint sie: «Wahlkampfmüde bin ich nicht.»
J. Hoskyn und L. Simonsen