Analyse
Zweiter Wahlgang Präsidentschaftswahlen im Elsass: Entscheidung fällt in den grossen Städten

Marine Le Pen ist im Elsass vor allem auf dem Land stark. Elsässische Politikerinnen und Politiker befürchten negative Folgen auf das Elsass bei ihrem Wahlsieg.

Peter Schenk
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Macron am 12. April beim Wahlkampf in Strassburg.

Macron am 12. April beim Wahlkampf in Strassburg.

Eliot Blondet / Pool / EPA

Wie im übrigen Frankreich ist der französische Präsident im Elsass vor allem in den Städten stark. Je mehr man sich von diesen entfernt, desto stärker wird seine rechtspopulistische Herausforderin Marin Le Pen. Im ländlichen Sundgau hat mit 44,5 Prozent fast jeder zweite für einen Kandidaten der extremen Rechten gestimmt – für Le Pen, den noch extremeren Eric Zemmour oder den Nationalpopulisten Nicolas Dupont- Aignan.

Verbreiteter Hass gegen Macron

Der emeritierte Strassburger Politologe Richard Kleinschmager verfolgt die Wahlerfolge der extremen Rechten im Elsass seit über 30 Jahren. Den Hauptgrund dafür sieht er in heute in der komplexen Identität des Elsass. «Dabei wird diese gar nicht genau definiert, aber es ermöglicht, die Fremden zurückzuweisen.» Wie es beim zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am Sonntag ausgehen wird? «Nichts ist ausgeschlossen», fürchtet er und verweist auf den weit verbreiteten Hass gegen Macron, der mit seiner realen Politik gar nichts mehr zu tun habe.

Die Abneigung gegen den als ultraliberal empfundenen Präsidenten sitzt vor allem in den Vorstädten der beiden grossen Städte Mulhouse und Strassburg tief. Viele derEinwohnerinnen und Einwohner der sogenannten Banlieues stammen ursprünglich aus den nordafrikanischen Ländern des Maghreb und sahen sich vor allem durch den linken Populisten Jean-Luc Mélenchon vertreten. In Bourtzwiller in Mulhouse erreichte er sogar 50 bis 64 Prozent. Insgesamt entfielen in Mulhouse wie in Strassburg über 35 Prozent der Stimmen auf Mélenchon.

Wie entscheiden sich die linken Protestwähler?

Ob es Macron gelingt, Le Pen im Elsass hinter sich zu lassen, wird davon abhängen, wie viele Protestwähler des Linken Mélenchon in den sauren Apfel beissen und für den amtierenden Präsidenten stimmen, um Marine Le Pen zu verhindern. Nicht auszuschliessen ist, dass die meisten sich entscheiden, sich der Stimme zu enthalten.

Für Aufregung sorgte vor kurzem die Ankündigung der TV-Moderatorin und ehemaligen Miss France Delphine Wespiser, für Le Pen zu stimmen. Die gebürtige Elsässerin engagiert sich stark für die Zweisprachigkeit und den Tierschutz.

Deutlich gegen die Wahl Le Pens haben sich die Ministerin und Abgeordnete des Parlaments des Elsass Brigitte Klinkert und der Präsident der Collectivité européenne d’Alsace (CEA) Frédéric Bierry ausgesprochen. In einem gemeinsamen Text fürchten sie, dass eine Präsidentin Le Pen zerstören würde, «was das Elsass stark macht». Massnahmen Le Pens seien unter anderem die Schliessung der Grenzen, sich von Deutschland abzuwenden und die elsässische Wirtschaft zu vernichten.

Der Moment sei gekommen, um zu verdeutlichen, dass sich Le Pen in den letzten Monaten nur aus Wahlkampfinteressen für das Elsass ausgesprochen habe. «Marine Le Pen zu wählen, bedeutet auf keinen Fall, für das Interesse des Elsasses und der Elsässer zu stimmen.»

Gegen nationalistische Ideen und Rückzug

In einem weiteren Aufruf haben 44 Abgeordnete des CEA die geographische Lage des Elsasses im Herzen Europas und als gemeinsamer Lebensraum mit der Nordwestschweiz, Baden und der Südpfalz betont. Weiter heisst es: «Wir hängen an den Werten des Humanismus, des Teilens und der Öffnung gegenüber der Welt und wenden uns gegen nationalistische Ideen und identitären Rückzug.»

Europa hin oder her. Die Nähe zu Deutschland hat auch die Bewohnerinnen und Bewohner vieler Gemeinden der Rheinebene nicht davon abgehalten, für Le Pen zu stimmen. Auffällig ist, dass es im Unterschied zu 2002, als mit Jean-Marie Le Pen, dem Vater von Marine, erstmals ein Rechtsextremer in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen geschafft hatte, diesmal keine grossen und spontanen Demonstrationen im Elsass gegeben hat. Marine Le Pens Taktik der Entdiabolisierung hat im Elsass Früchte getragen. Ob es am Sonntagabend bei ihrem Sieg zu grossen Demonstrationen kommt, ist offen.