Heute vor zehn Jahren wurde der Deutsche Karl Dittmann (63) auf der Velobrücke zwischen Koblenz und Felsenau erschossen. Nun schildert der Mann, der das Opfer fand, seine Eindrücke aus jener Nacht.
«Es sah nicht schlimm aus.» So schildert der Mann seinen ersten Eindruck, als er heute vor zehn Jahren das Mordopfer Karl Dittmann in Koblenz auffand. «Ich war mit dem Velo auf dem Heimweg», erzählt der Mann aus der Region, der anonym bleiben möchte, der «Aargauer Zeitung».
Er fuhr mit dem Velo um 22.50 Uhr von Koblenz her über den Velo- und Fussgängersteg nach Felsenau, der parallel zur eigentlichen Aarebrücke geführt wird. Auf dieser gelangen Autofahrer in einer Minute zum Grenzübergang Koblenz-Waldshut.
Mitten auf der Brücke sass Dittmann kniend in sich zusammengesunken auf dem Boden, neben dem Geländer. Der Körper ohne Spannung. Der Kopf vornübergebeugt. Im Dunkeln, denn die Brücke ist nicht beleuchtet. Der Velofahrer fuhr erst am Knienden vorbei, machte aber gleich kehrt. «Ich dachte, wenn er betrunken ist, kann ich ihn ja nicht so einfach da sitzen lassen.»
Als er Dittmann näher kam und ihn anfasste, da sah er das Blut, das aus dessen Mund getreten war. «Da war mir klar, dass ich nicht mehr viel machen kann.» Ein Handy hatte er nicht, so fuhr er zum nächsten Koblenzer Restaurant, wo jemand Alarm schlug. Noch in derselben Nacht musste er der Spurensicherung all seine Kleider abgeben, weil er den Leichnam berührt hatte.
Karl Dittmann wurde erschossen. An den Händen des 63-jährigen Deutschen fanden die Ermittler Schmauchspuren. Der Täter feuerte den einzigen Schuss aus nächster Nähe ab, mitten ins Herz des Opfers. Auffällig: Er verwendete als Schalldämpfer einen mit Kunststofffasern gefüllten Plastiksack. Auf Dittmanns Kleidung und am Geländer der Stahlbrücke fanden sich verschmorte Fasern.
Man muss wissen: Auf Koblenzer Seite befindet sich ein bewaldetes Naturschutzgebiet. Auf der anderen Seite stehen dagegen einige Wohnhäuser und das Hotel-Restaurant Bahnhof, das heute eine Asylunterkunft ist. Anwohner wären von einem lauten Schuss in der Nacht wohl aufgeschreckt worden.
Dittmann, 1,80 Meter gross, 100 Kilogramm schwer, war in der Region ein Fremder. Die Polizei schilderte den Frührentner als Einzelgänger, der seit Jahren ein unkonventionelles Leben ohne festen Wohnsitz führte und viel reiste. Im Jahr 2009 bezog er mit seiner Kreditkarte an 50 verschiedenen Orten in halb Europa Geld. Er stammte aus Bergisch Gladbach bei Köln. Von seiner Frau lebte er getrennt. Zu den zwei erwachsenen Söhnen hatte er wenig Kontakt.
Zwei Tage vor seinem Tod hielt sich Dittmann in Rheinfelden auf. Danach fuhr er mehrere hundert Kilometer nordwärts nach Yutz (Fr), wo er übernachtete. Dieses Leben konnte er sich aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse leisten. Die Umstände sprechen dafür, dass Dittmann seinen Mörder gekannt hat und ihn nicht fürchtete.
Warum sonst hätte er sich hier mit ihm treffen sollen? Konkrete Verdachtsmomente gegen eine Person ergaben sich aber genauso wenig wie ein plausibles Motiv für das Tötungsdelikt. Die Polizei konnte nach der Tat zwar das Projektil sichern. Die Tatwaffe blieb verschwunden. Vergeblich suchten Taucher den Flussgrund ab. Dabei setzte die Polizei selbst riesige Magnete ein.
Dittmanns blauer Mercedes Benz 190E (Jahrg. 1992) stand auf einem nahen Parkplatz. Auf dem Beifahrersitz lag eine Landkarte, mit Bleistift waren nebst Koblenz die Orte Umiken, Ellikon am Rhein, Reckingen (De) und Lienheim (De) sowie Strassen zwischen Fisibach und Kaiserstuhl sowie Sulz und Rheinsulz markiert. Was es damit auf sich hat, blieb im Dunkeln.
Unter der Brücke fanden die Ermittler Fussspuren von Dittmann und seinen durchwühlten Rucksack. Allerdings fand sich darin Bargeld. Unklar war der Verbleib der Kreditkarte. «Sie konnte durch Zufall im Jahr 2012 in einiger Entfernung zum Tatort aufgefunden werden», führt Fiona Strebel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, nun aus. Allerdings habe die Kreditkarte keine weiteren Hinweise gebracht.
Auch ein Kurzfilm in der Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» brachte die Ermittlungen nicht wesentlich weiter. Zwar gab es Hinweise, die Brücke könnte ein Homosexuellen-Treffpunkt oder Umschlagplatz für Schlepper sein. Dieser Hypothese ging die Kriminalpolizei wie vielen anderen auch nach – ein Zusammenhang zum Delikt liess sich nicht feststellen. Der Fall bleibt voller Rätsel.
Das Verfahren wurde zwar 2011 sistiert, aber nicht eingestellt. «Es gab einzelne wenige Hinweise und Erkenntnisse, denen die Polizei stets auch nachgegangen ist», erklärt Strebel. «Es waren jedoch keine, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Folge hatten.»
Wie behandelt die Staatsanwaltschaft einen solchen «Cold Case»? Wurde dieser Fall wieder einmal von Ermittlern aus der Schublade geholt und neu beleuchtet? «Ja. Die Strafverfolgungsbehörden gehen zum einen Hinweisen von Drittpersonen nach und überprüfen zum anderen auch aus eigenem Antrieb, ob neue Ermittlungsansätze bestehen», so Strebel.
Ob DNA-Spuren gesichert werden konnten oder es neue Ermittlungsansätze zu den Markierungen auf der Karte gibt, dazu mache die Staatsanwaltschaft «aus ermittlungstaktischen Grünen keine Angaben». Der Melder sei «wie üblich umgehend und ausführlich zur Sache befragt» worden. «Eine Strafuntersuchung wurde gegen ihn in der Folge nicht eröffnet.»
Der AZ bestätigt dieser seine Beobachtung von 20.40 Uhr, als er die Brücke in anderer Richtung querte: Da sah er drei jüngere Velofahrer und einen Fussgänger. Haben sich diese Personen jemals gemeldet? Auch hierzu hält sich die Staatsanwaltschaft bedeckt. Für Hinweise ist aber nach wie vor eine Belohnung von 20000 Franken ausgesetzt. Tötungsdelikte verjähren nach 15, ein Mord nach 30 Jahren.
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