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Die Stiftung Schürmatt feiert Jubiläum. Direktor Werner Sprenger über die Grenzen der Integration, neue Möglichkeiten und die Herausforderung, Fachpersonen zu finden
Was vor 50 Jahren mit einem Kinderheim begann, ist heute eine Institution, die an 13 Standorten tätig ist und über 400 Mitarbeitende beschäftigt. Die Stiftung Schürmatt begleitet und unterstützt mit diversen Angeboten Kinder und Erwachsene mit kognitiven Beeinträchtigungen. Einer kennt den Betrieb wie kaum ein anderer: Werner Sprenger. Seit 27 Jahren ist der 57-Jährige in der «Schürmatt» tätig – seit drei Jahren ist er Direktor.
Werner Sprenger: Schwer zu sagen. Früher haben sie unter der Separation gelitten. Sie waren aus dem Leben ausgekoppelt. Heute sind sie gesellschaftlich viel besser integriert. Ich denke aber nicht, dass ihr Leben deswegen unbedingt einfacher geworden ist. Natürlich, sie haben eine bessere Schulung, werden gefördert und unterstützt. Letztlich haben sie heute mehr Möglichkeiten – wie wir auch. Das führt auch zu neuen Ungleichheiten und Unzufriedenheiten.
Früher hat man gerade den jungen Frauen den Wunsch nach einer Partnerschaft oder Familie abgesprochen und sie oft auch sterilisiert – ganz legal, mit dem Einverständnis der Eltern. Das geht natürlich nicht mehr. Das hat sich verändert, beides: die Unterstützung in ihren Bedürfnissen unsererseits und das Bewusstsein der behinderten Menschen. Sie wollen haben, was alle anderen auch haben: einen Freund oder eine Freundin, ein Natel, Ferien.
Das Kinderheim ist aus der Not heraus entstanden, dass es wenige Plätze für behinderte Kinder aus reformierten Familien gab. Als die «Schürmatt» 1965 mit 20 Kindern startete, gab es bereits eine lange Warteliste. Man hat die behinderten Kinder nicht separiert, um sie aus der Gesellschaft zu verbannen, sondern weil man ihnen etwas Gutes tun, sie fördern und ihnen nicht zuletzt eine sinnvolle Tätigkeit ermöglichen wollte. Wie heute wollte man ihnen eine hohe Lebensqualität bieten.
Plakativ gesagt, hiess es damals: satt und sauber. Das bedeutete eine gute Unterbringung, genug zu Essen – aber auch Bildung. Das war neu. Der Bildungsanspruch für Behinderte ging mit der Gründung der Invalidenversicherung im Jahr 1960 einher. Darauf begründet sich das ganze Sonderschulwesen. Deshalb feiern auch derzeit viele Institutionen ihr 50-Jahr-Jubiläum.
Lebensqualität bedeutet nach wie vor gute Bildung, ein stabiles Daheim, Versorgung, aber auch wahrgenommen zu werden, jemanden zu haben, der für einen da ist, Teilhabe am Leben, am Alltag, aber auch Kultur zu erleben. Unsere Klienten besuchen klassische Konzerte, es gibt viele kulturelle Anlässe wie den Frühlingsball, Konzerte, Theater, Kino.
Lange Zeit hiess das Schlagwort tatsächlich Integration. Wir haben sehr viele Bemühungen in diese Richtung unternommen, erleben in diesem Bereich jetzt aber eher eine Stagnation. Auch die Integration hat Schattenseiten oder, sagen wir, Grenzen. Kinder mit Beeinträchtigungen in Regelschulen zu integrieren, ist zwar eine gute Sache, man muss aber die Anforderungen, die an das Kind gestellt werden, und die damit verbundene psychische Belastung, weil etwa Niederlagen eingesteckt werden müssen, im Augen behalten.
Es ist einfacher, jüngere behinderte Kinder zu integrieren. Schwieriger wird es, wenn diese Kinder in die Pubertät kommen. Dann verändern sich die Verhaltensweisen, wie bei anderen Kindern auch, und die Leistungsschere geht schnell weit auseinander. Im Kindergarten oder in der Primarschule sind diese Unterschiede noch weniger auffällig.
Seit einer Weile spricht man von Inklusion oder Teilhabe als ideales Gesellschaftsbild. Gemeint ist, dass Behinderte so normal wie möglich im gewohnten Umfeld leben und in die Schule gehen oder arbeiten können. Ein Ansatz, den wir mit Erfolg umsetzen, sind die kooperativen Kindergärten draussen in den Gemeinden, wo eine Kindergartenklasse mit behinderten Kindern und eine Regelkindergartenklasse nebeneinander unterrichtet werden, wobei man gewisse Anlässe pro Tag gemeinsam bestreitet. Das ist ein sehr gutes Modell. Wir denken auch über kooperative Schulen nach. Damit reagieren wir auf die neuen Bedürfnisse und neue Erkenntnisse.
Eine Riesenherausforderung für die Zukunft wird sein, genügend Fachpersonen zu finden, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, damit die Leute auch bei uns arbeiten wollen. In den nächsten zwei Jahren ist wichtig, die beiden neuen Standorte in Aarau und Othmarsingen in konsolidierter Form betreiben zu können und mit allenfalls reduzierten Geldern klar zu kommen.
Ja, auch wir haben mehr Ansprüche zu erfüllen bezüglich Reporting, Qualitätsmanagement, Vorschriften – das alles mit weniger Geld, der Kanton Aargau bereitet ja sein nächstes Sparpaket vor. Irgendwann muss man anfangen, bei den Leistungen Kompromisse zu machen, was nicht heisst, dass es kein Sparpotenzial gibt. Das gehört dazu, da bereiten wir uns drauf vor. Dennoch, wir können nicht einfach rationalisieren, weil bei uns die Arbeit am Menschen das Zentrale ist. Dafür können wir keine Maschinen einsetzen.
Sommerfest: Morgen Samstag, 20. Juni, 11–17 Uhr, mit Spielen, Markt, Musik, Festbahnen, Tombola und dem neu sanierten, 100-jährigen Karussell. Gratis Busdienst vom Bahnhof Zetzwil.