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Seit bald 500 Jahren gibt es den Reinacher «Bären». Er beherbergte mitunter Grössen wie Friedrich Dürrenmatt. Heute ist er ein Schatten seiner selbst. Das schmerzt nicht nur Ammann und «Bären»-Wirt-Nachfahre Martin Heiz.
«Ich würde viel dafür geben, wäre ich da mit dabei gewesen», sagt Gemeindepräsident Martin Heiz und lacht. Damals 1972, als Friedrich Dürrenmatt im Saalbau für «Die Physiker» probte. Zwei Monate lang lebte der Schriftsteller dafür in Reinach im Hotel Bären. Sass abends mit den Reinachern am Stammtisch von Wirt Walter Nigg, plauderte und philosophierte. Und trank.
«Mein Vater hat jeweils von den vielen Flaschen Wein erzählt, die sie mit Dürrenmatt geleert haben», erzählt Heiz. Unvergessliche Abende müssen das gewesen sein, mit Dürrenmatt und all den Schauspielergrössen wie Ruth Hellberg und Dinah Hinz. Den illustren Kreis um Dürrenmatt selbst erlebt hatte Martin Heiz als KV-Stift 1967, damals aber nur im Saalbau bei den Proben zu «Meteor», vom Dunkel des Zuschauerraums aus. Auch damals hatte Dürrenmatt im «Bären» logiert.
Es sind Geschichten wie diese, die viele ältere Reinacher noch heute mit dem «Bären» verbinden. Der «Bären», in dem das gesellschaftliche Leben stattfand, bis 1978 unter der Führung von Walter Nigg, bis 2014 unter Oskar Müller, dem legendären «Bären-Oski».
«Der ‹Bären› war das Haus Nummer 1», wie Martin Heiz sagt. «Der Ort, an dem sich alle trafen, an dessen Stammtisch Politik gemacht wurde.» Hier fand man in Freud und Leid zusammen, kam zu Taufen, Hochzeiten, Leichenmöhli. Und zu Generalversammlungen, zu Tanz und Theaterveranstaltungen. Eben alles, was eine Gemeinschaft ausmacht.
Diese Zeiten sind vorbei. Frisch saniert, ist der «Bären» in der Versenkung verschwunden. Nach der Ära Müller konnte der damalige Eigentümer keinen geeigneten Pächter mehr für das Haus finden. Ende 2017 kaufte der türkische Investor Orhan Öztas das Traditionshaus. Doch auch er brachte den «Bären» nicht mehr auf Spur. Heute ist das Restaurant geschlossen, einzig die Hotelzimmer werden noch an Langzeitgäste vermietet.
Das einst stolze Haus hat seinen Glanz verloren. «Das zu sehen, tut weh», sagt Martin Heiz. «Es ist ein Stück Ortsgeschichte, das plötzlich keine Rolle mehr spielt.» Er selbst hat einen Vorfahren, Ruedi Heitz, der ab 1660 im «Bären» wirtete; seither tragen die Reinacher Heiz einen Humpen im Familienwappen.
Nicht zuletzt deshalb wünscht sich Heiz sehr, dass der «Bären» dereinst wieder aufblühen wird. Und mit ihm wünschen sich das viele andere Reinacher. «Ich werde immer wieder darauf angesprochen», sagt Heiz. Doch tun könne er nichts. «Handeln kann nur der Eigentümer.»
Wie lange der «Bären» die Reinacher schon begleitet, zeigt der Blick in Peter Steiners Dorfchronik: 1599 wird er erstmals urkundlich erwähnt, bis zum Ende der Berner Zeit 1789 war der «Bären» das einzige Wirtshaus im Dorf. Nur er hatte das Tavernenrecht; nur hier durften warme Speisen aufgetischt werden, nur hier durften Reisende übernachten. Gleich geblieben ist die Adresse, 1795 wurde der «Bären» auf den Grundmauern der Taverne errichtet und nach einem Brand 1868 wiederaufgebaut.
Dank dem Ohmgeld, einer Abgabe auf die ausgeschenkte Getränkemenge, ist auch bekannt, was und wie viel die Reinacher jeweils becherten: 1829 beispielsweise waren es 135 Saum oder fast 20000 Liter Wein (1 Saum entsprach etwa 144 Litern). Dazu kam noch einmal so viel Wein, der in den Pinten ausgeschenkt wurde. Reinach zählte dannzumal rund 3000 Einwohner.