Berufung
Vierfachmord Rupperswil: Was Thomas N. jetzt noch zu verlieren hat

Die Staatsanwaltschaft will bezüglich des Vierfachmords von Rupperswil eine härtere Strafe für den Täter und hat Anschlussberufung erklärt. Das Aargauer Obergericht verhandelt im Dezember die Widersprüche des Urteils.

Andreas Maurer
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Kurz vor Weihnachten 2015 löschte Thomas N. in Rupperswil eine Familie aus. Kurz vor Weihnachten 2018 wird das Aargauer Obergericht als zweite Instanz den Vierfachmord verhandeln. Zum Prozess am 13. Dezember kommt es, weil der Mörder Berufung eingelegt hat. Er fordert, dass die vom Lenzburger Bezirksgericht im März verhängte ordentliche Verwahrung aufgehoben wird.

Hätte N. das Urteil akzeptiert, hätte sich auch die Staatsanwaltschaft damit einverstanden erklärt. Sie verzichtete auf eine Berufung. Inzwischen hat sie aber eine Anschlussberufung eingelegt. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass eine Partei mit diesem Mittel ein Urteil auch in Punkten anfechten kann, die über die Berufung hinausgehen. Für N. könnte die Beschwerde zum Bumerang werden, falls sich die Staatsanwaltschaft durchsetzt. In drei Punkten fordert sie eine Verschärfung.

  • Die Staatsanwaltschaft beantragt eine lebenslängliche Verwahrung. Diese wird nur überprüft, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Bei der ordentlichen Verwahrung hingegen wird regelmässig untersucht, ob der Täter noch gefährlich ist. Bei positiver Prognose kann er unter Auflagen entlassen werden. Bei negativer Prognose kann er lebenslänglich verwahrt bleiben. Die Chancen der Staatsanwaltschaft in diesem Punkt sind gering, weil das Bundesgericht bisher alle angefochtenen lebenslänglichen Verwahrungen aufgehoben hat. Eine Minderheit des Bezirksgerichts hatte die Forderung allerdings unterstützt.
  • Die Staatsanwaltschaft fordert zudem ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot für die Zusammenarbeit von N. mit Minderjährigen. Aufgrund der Begründung des Bezirksgerichts erscheint diese Forderung aussichtslos. Die erste Instanz lehnte ein Berufsverbot ab, weil dieses gemäss Rechtslehre nur für leichte Fälle gedacht sei. Es gehe um Täter, denen man eine günstige Prognose ausstellen könnte, sofern spezifische Tatgelegenheiten unterbunden würden. Für Schwerverbrecher wie N. hingegen sei vorgesehen, dass ein Berufsverbot erst im Fall einer Entlassung erteilt werde.
  • Die Staatsanwaltschaft verlangt ausserdem, dass die ambulante Massnahme aufgehoben wird. Mit dieser soll die psychische Störung von N. hinter Gittern therapiert werden. Eine Voraussetzung ist aber eigentlich, dass ein Erfolg innert fünf Jahren zu erwarten ist. Dies verneinen die Gutachter im Fall von Thomas N. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft in diesem Punkt die besten Chancen.

Sollte das Gericht hingegen die Therapie befürworten, könnte es die Verwahrung aufheben. Denn grundsätzlich schliessen sich diese beiden Massnahmen gegenseitig aus. Diese juristischen Widersprüche sollen am 13. Dezember geklärt werden.

Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis zum Urteil:

Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis zum Urteil: Am 21. Dezember 2015 wird Rupperswil zum Schauplatz eines der grausamsten Mordfälle in der Schweizer Kriminalgeschichte.
45 Bilder
Als die Feuerwehr zu einem Brand in einem Haus an der Lenzhardstrasse ausrückt, können die Einsatzkräfte nicht ahnen, was auf sie zukommt.
In diesem Haus entdecken die Feuerwehrleute vier verkohlte Leichen.
Wenig später nehmen Ermittler und Spurensicherung ihre Arbeit auf.
Zwei Tage nach den Morden teilt die Polizei mit: Bei den Opfern handelt es sich um Carla Schauer (†48), ihre beiden Söhne Davin (†13) und Dion (†19) ...
... sowie um die Freundin des älteres Sohnes, Simona (†21).
Rupperswil steht unter Schock. Vom Täter fehlt jede Spur.
Die Menschen im Dorf nehmen Anteil am Schicksal der Opfer: Zeichen der Anteilnahme vor dem Haus, in dem die Taten geschahen.
Viele Kerzen beim Haus der Opfer sind für diese angezündet.
8. Januar 2016: In Rupperswil findet ein Gedenk-Gottesdienst für die Opfer statt.
Rund 500 Personen wohnen dem Trauer-Gottesdienst bei. Wegen des grossen Andrangs müssen rund 200 Gäste den Gottesdienst vom Saal des Kirchgemeindehauses aus verfolgen.
18. Februar 2016: Staatsanwaltschaft und Polizei informieren erstmals ausführlich über die Geschehnisse in Rupperswil an einer Pressekonferenz. Im Bild Staatsanwältin Barbara Loppacher und Kripo-Chef Markus Gisin.
An dieser Pressekonferenz setzen die Behörden eine Belohnung von bis zu 100'000 Franken für Hinweise auf die Täterschaft aus.
Mit Flugblättern (in 7 Sprachen) sucht die Polizei nach Zeugen und Hinweisen.
Auf dem Flugblatt ist auch dieses Bild von Carla Schauer (†48) zu sehen, aufgenommen von einer Überwachungskamera: Sie hebt am Tattag um 9.51 Uhr Geld an einem Bankschalter in Wildegg ab. Es sind 9850 Franken.
Später veröffentlicht die Polizei auch dieses Bild: Carla Schauer hebt um 10.10 Uhr an einem Geldautomaten in Rupperswil 1000 Euro ab.
April 2016: Die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY – ungelöst" macht Filmaufnahmen zum Mordfall von Rupperswil. Der Beitrag soll bald ausgestrahlt werden – doch dazu kommt es nicht mehr.
13. Mai 2016: Fast fünf Monate nach dem Tötungsdelikt laden Polizei und Staatsanwaltschaft kurzfristig zu einer zweiten grossen Pressekonferenz ein.
Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht enthüllt: "Der Täter ist gefasst. Es handelt sich um einen 33-jährigen Schweizer aus Rupperswil, der nicht vorbestraft ist."
Der Starbucks in Aarau: Hier nahm die Polizei Thomas N. fest.
Das ist er: Thomas N., neben dem Haus der Familie Schauer in Rupperswil. (Fotomontage)
Thomas N. war jahrelang Fussball-Trainer und betreute C-Junioren. Die Junioren, ihre Familien und die Vereinsmitglieder sind geschockt.
Dieses Bild zeigt Thomas N. als Betreuer an einem Fussballspiel im April 2016, rund vier Monate nach der Tat.
Dieses Bild zeigt Thomas N. als Betreuer an einem Fussballspiel im April 2016, rund vier Monate nach der Tat.
Dieses Bild zeigt Thomas N. als Betreuer an einem Fussballspiel im April 2016, rund vier Monate nach der Tat.
In diesem Haus in Rupperswil – nur wenige Meter vom Haus der Familie Schauer entfernt – wohnte Thomas N. zusammen mit seiner Mutter.
Bei Thomas N. zu Hause fand die Polizei diesen Rucksack samt Utensilien. Sie liessen befürchten, dass er eine nächste Tat bereits geplant hatte.
7. September 2017: Staatsanwältin Barbara Loppacher von der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau erhebt Anklage.
Wenige Tage nach der Ergreifung des Täters wird bekannt: Die Rechtsanwältin Renate Senn wird Thomas N. als amtliche Verteidigerin vor Gericht vertreten.
Thomas N. sitzt im Gefängnis Pöschwies in Regensdorf in Haft.
Der Prozess vor dem Bezirksgericht Lenzburg fand aus Platzgründen im Polizeigebäude in Schafisheim statt. 65 Medienschaffende und 35 Zuschauer verfolgten ihn.
Den Kopf hat er meist auf seine rechte Hand gestützt, mit Zeigfinger und Daumen hält er sich die Nasenwurzel.
Das Gericht: René Müller (SVP), Margrit Kaufmann (CVP), Schreiber Lukas Fischer, Präsident Daniel Aeschbach (SVP), Marianne Bitterli (SVP), Luca Cirigliano (SP).
Blick in den Gerichtssaal mit dem Angeklagten (rechts aussen).
Thomas N. vor Gericht.
Brief-Ausschnitt: Thomas N. schrieb den Angehörigen einen Brief – aber ohne das Wort "Entschuldigung" zu verwenden. Während des Prozesses wurde dies bekannt.
Thomas N. am ersten Prozesstag: Er spricht deutlich, verliert nie die Fassung.
Staatsanwältin Barbara Loppacher (vorne).
«Ich bin pädophil», sagt der geständige 34-Jährige vor Gericht.
Der vierfache Mörder von Rupperswil AG (Bildmitte) soll verwahrt werden. Das Bezirksgericht Lenzburg verhängte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe und ordnete eine ordentliche Verwahrung an.
Gerichtszeichung von Thomas N. bei der Urteilsverkündung am Freitag.
Gegen das Urteil erhob Thomas N. Berufung. Er wehrte sich gegen die ordentliche Verwahrung. Daraufhin erklärte auch die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung: Sie fordert erneut eine lebenslange Verwahrung für den Vierfachmörder.
Am 13. Dezember kam es zum Prozess vor dem Aargauer Obergericht. Dieses entschied, dass der Vierfachmörder von Rupperswil ordentlich verwahrt wird, aber keine ambulante Massnahme (Therapie) erhält.
Thomas N. wohnte der Berufungsverhandlung nicht bei. Sein Gesuch, in dem er darum bat, von den Gerichtsverhandlungen dispensiert zu werden, wurde gutgeheissen.
Staatsanwältin Barbara Loppacher ist zufrieden mit dem Urteil des Obergerichts.

Vierfachmord Rupperswil – von der Tat bis zum Urteil: Am 21. Dezember 2015 wird Rupperswil zum Schauplatz eines der grausamsten Mordfälle in der Schweizer Kriminalgeschichte.

SEVERIN BIGLER