Arbeitsmarkt
Warum Frauen auf den Aargauer Gemeinden in der Jobsharing-Falle sitzen

In den Gemeindekanzleien arbeiten längst mehr Frauen als Männer. Allerdings bleiben Kaderpositionen eine klare Männerdomäne, obschon viele Frauen sehr gut qualifiziert sind. Denn familienfreundliche Arbeitsmodelle fehlen weitgehend.

Jörg Meier
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Barbara Wiedmer, Gemeindeschreiberin in Wettingen, Susanne Koppp, Sachbearbeiterin in Schinznach und Daniela Weibel, Gemeindeschreiberin in Habsburg.

Barbara Wiedmer, Gemeindeschreiberin in Wettingen, Susanne Koppp, Sachbearbeiterin in Schinznach und Daniela Weibel, Gemeindeschreiberin in Habsburg.

Sandra Ardizzone

Vor wenigen Wochen wurden an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)
134 Gemeindefachleute zertifiziert. Dies, nachdem sie die zweijährige berufliche Weiterbildung abgeschlossen haben. Damit können sie ab sofort verschiedenste Kaderfunktionen auf den Gemeindeverwaltungen übernehmen, sei es als Gemeindeschreiber, Finanz- oder Steuerverwalter.

Die seit 2009 an der FHNW durchgeführten Weiterbildungen sind massgeschneidert für die Gemeindeverwaltungen der Kantone Aargau, Basel-Landschaft und Solothurn. Die als CAS konzipierten und modular aufgebauten Weiterbildungen seien sehr beliebt, erklärt Michael Baumann vom Institut für Nonprofit- und Public Management an der FHNW. Und was bei den Teilnehmenden auffällt: «Rund 80 Prozent der Teilnehmenden sind Frauen», sagt Baumann und er rühmt das Engagement der studierenden Frauen, die in allen Fächern die Auszeichnungen für die besten Leistungen abholten.

Wenig Frauen im Kader

Ein Blick auf die Aargauer Gemeindeverwaltungen zeigt zweierlei. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Personen insgesamt auf den Verwaltungen der 213 aargauischen Gemeinden arbeiten. Fachleute schätzen, dass es zwischen 5000 und 6000 sind. Klar ist aber, dass die Frauen deutlich in der Mehrheit sind. Allerdings nicht, was Kaderpositionen betrifft.

Die bleiben nach wie vor eine Männerdomäne. Frauen verfügen zwar häufig über die notwendigen Ausbildungen und Qualifikationen, aber sie üben die Funktionen nicht aus. Sie arbeiten als Sachbearbeiterin statt als Gemeindeschreiberin, Finanzverwalterin oder Leiterin des Steueramtes.

Barbara Wiedmer, Gemeindeschreiberin in Wettingen

Barbara Wiedmer, Gemeindeschreiberin in Wettingen

Sandra Ardizzone

Barbara Wiedmer, Gemeindeschreiberin Wettingen

Die 45-jährige Barbara Wiedmer hat eine Verwaltungslehre mit KV-Abschluss mit Berufsmatura absolviert und sich danach berufsbegleitend zur Gemeindeschreiberin weitergebildet. Zudem hat sie sich an der Fachhochschule betriebswirtschaftliches Rüstzeug geholt. In Wettingen arbeitet sie als Gemeindeschreiberin in einem 100-Prozent-Pensum. Sie ist eine von zwei Frauen, die eine Abteilung leiten, neben acht Männern.
Barbara Wiedmer bestätigt, dass die Frauen auf den Gemeindeverwaltungen in der Regel in der Mehrheit sind, dass sie aber kaum Kaderpositionen übernehmen. Sie ist Mutter von vier Kindern und hat während 15 Jahren als Springerin auf rund 30 Gemeinden gearbeitet. So war es ihr möglich, ihr Arbeitspensum an die jeweilige familiäre Situation anzupassen und trotz «Babypausen» den Anschluss nicht zu verpassen. Vor vier Jahren bot ihr die Gemeinde Wettingen dann die Möglichkeit, eine Kaderposition im Jobsharing und später im 100-%-Pensum zu übernehmen.
«Es braucht attraktivere Arbeitszeitmodelle», sagt Wiedmer und nennt konkret «Teilzeitarbeit und Jobsharing muss möglich sein, auch in Kaderpositionen.» Auch Homeoffice sieht Wiedmer als Möglichkeit, wovon auch sie während eines Nachmittags pro Woche profitieren kann. «Aber es braucht dazu die Bereitschaft der jeweiligen Gemeinderäte, Neues zu wagen.» (jm)

Andrerseits ist es eine Tatsache, dass viele Gemeinden Mühe haben, ihre ausgeschriebenen Kaderstellen wieder besetzen zu können. Oft werden Stellen mehrmals ausgeschrieben und Überbrückungslösungen installiert. Da stellt sich die Frage, wo denn die Bewerbungen der vielen gut ausgebildeten Lehrgangsabsolventen bleiben. Konkret: Warum bewerben sich die Frauen mit Fachausweis so selten?

Teilzeitstellen sind rar

Stefan Jung, Präsident des aargauischen Gemeindeschreiberverbandes, hat eine Erklärung: «Die hohe Frauenquote in der Ausbildung ist erfreulich. Es ist aber Realität und auch absolut natürlich, dass ein grosser Teil dieser Frauen früher oder später eine Familie gründet.» In den ersten Jahren nach dem Mutterschaftsurlaub sei es vielen Frauen gar nicht möglich, eine Stelle mit hohem Arbeitspensum anzutreten. «Sie würden zwar gerne in einem Teilpensum als Gemeindeschreiberin oder als Stellvertreterin weiterarbeiten, aber solche Stellen sind rar», sagt Jung.

Deshalb verschwinden diese bestens ausgebildeten Frauen häufig für längere Zeit oder gar für immer vom Stellenmarkt der öffentlichen Verwaltung, zumindest, was Kaderstellen betrifft. «Dadurch geht den Gemeinden extrem viel wertvolles Know-how verloren. Und das ist sehr bedauerlich», sagt Jung.

Stefan Jung ist überzeugt, dass sich die Gemeinden deshalb ernsthaft mit alternativen Arbeitszeitmodellen befassen sollten, etwa mit Teilzeitstellen, Jobsharing oder auch Homeoffice – und zwar auch für Kaderstellen. «Wenn wir uns den neuen Arbeitszeitmodellen verschliessen, wird es früher oder später ernsthafte Schwierigkeiten geben, die Kaderstellen auf den Gemeindeverwaltungen mit kompetentem Personal zu besetzen.»

Das Beispiel Berikon

Martin Hitz ist Gemeindeberater und Geschäftsführer des Gemeindeammännervereinigung. Er rekrutiert auch bei Bedarf für die Gemeinden Personal. Hitz bestätigt, dass es zunehmend schwierig geworden sei, Kaderstellen in den Gemeinden rasch und adäquat zu besetzen. Auch er hält die Schaffung von neuen, familienfreundlicheren Arbeitsmodellen für dringend notwendig, räumt aber ein, dass das bisher nur ausnahmsweise möglich sei.

Dass es möglich ist, zeigt Berikon. Dort wirkt Gemeindeschreiberin Michelle Meier in einem Pensum von 70 Prozent. Die zweifache Mutter arbeitet drei Tage auf der Verwaltung, zehn Prozent des Pensums braucht sie für Sitzungen ausserhalb der Arbeitszeit und für gelegentliches Homeoffice. Das «Beriker Modell» funktioniere deshalb, erklärt Michelle Meier, weil sowohl der Gemeinderat als auch die Mitarbeitenden mitmachen.

«Es braucht schon ein Team, das es erträgt, wenn die Chefin nicht immer anwesend ist», sagt Meier. Während der Abwesenheit von Michelle Meier übernimmt eine Sachbearbeiterin die administrativen Tätigkeiten. Auch auf der Gemeindeverwaltung in Berikon arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer. Teilzeitarbeit in der Führung wie sie in Berikon gut funktioniert, bleibt aber die Ausnahme. «Es stimmt. Es braucht schon ein Umdenken für ein solches Modell», konstatiert Michelle Meier. «Aber letztlich ist es sicher günstiger, als wenn Aufgaben an externe Fachleute ausgelagert werden, weil man die Positionen in der Gemeinde nicht mehr besetzen kann, weil sich unter diesen Bedingungen niemand finden lässt», sagt Michelle Meier.

Susanne Kopp, Sachbearbeiterin in Schinznach

Susanne Kopp, Sachbearbeiterin in Schinznach

Sandra Ardizzone

Susanne Kopp, Sachbearbeiterin in Schinznach

Susanne Kopp geniesst zurzeit ihren Mutterschaftsurlaub. Im Herbst kehrt sie auf die Gemeindekanzlei Schinznach zurück, wo sie als Sachbearbeiterin in einem
35-Prozent-Pensum angestellt ist.
Die zweifache Mutter wohnt in Biberstein und schätzt, dass sie Teilzeit arbeiten kann. «Die Familie hat Vorrang», erklärt sie. Deshalb nimmt sie auch in Kauf, dass sie «nur» als Sachbearbeiterin angestellt ist. Denn auch sie hat die komplette Ausbildung zur Gemeindeschreiberin absolviert, könnte also eine Gemeindekanzlei führen. Von zu Hause aus erledigt sie zudem Steuerinventare für neun weitere Gemeinden.
Die 39-Jährige hat eine klare Meinung: «Damit mehr Frauen auf den Gemeindeverwaltungen Führungspositionen übernehmen können, müssten die Arbeitgeber, also die Gemeinderäte, auch bereit sein, ein Jobsharing anzubieten. Diese Bereitschaft ist aber vielenorts schlicht nicht gegeben.»
Bevor sie zum ersten Mal Mutter wurde, war Susanne Kopp im Teilpensum Vizeschreiberin in Mellingen, hatte also eine Kaderposition. Vorläufig möchte Susanne Kopp keine Führungsfunktion auf einer Kanzlei, denn die Familie geniesst auch in den nächsten Jahren weiterhin Priorität. «So, wie wir es jetzt organisiert haben, stimmt es für die Familie und für mich», erklärt sie. (jm)

Profi unter Milizlern

Bleibt die Frage, warum sich die Männer nach und nach aus der Verwaltung zurückziehen?
Stefan Jung und Martin Hitz sind sich einig. Es beginnt schon im KV. Es sind vor allem Frauen, die eine Verwaltungslehre absolvieren. Die wenigen Männer wählen häufig das M-Profil mit Berufsmatura. Sie wechseln dann nach der abgeschlossenen Lehre bald einmal für ein Wirtschaftsstudium an die Fachhochschule und landen danach in der Regel in der Privatwirtschaft und sind für die öffentliche Verwaltung verloren. «Ausserdem hat der Beruf des Gemeindeschreibers an Attraktivität verloren», stellt Hitz fest. Dies aus verschiedenen Gründen. Der Druck auf den Gemeindeschreiber sei gestiegen, die Arbeit komplexer und hektischer geworden. Das Ansehen aber sei gesunken. Oft sei es für den Gemeindeschreiber auch schwierig, selber Profi zu sein, aber von Milizlern im Gemeinderat geführt zu werden.

Wenig Aussicht auf Veränderung

Welche Arbeitszeitmodelle eine Gemeinde auf der Verwaltung anbietet, liegt in der Kompetenz der Gemeinde. Und solange die Kaderstellen noch immer besetzt werden können, wird sich wenig ändern.

Kompetente Frauen, qualifiziert für Kaderstellen, werden sich weiterhin im Zweifelsfalle gegen die Führungsfunktion und für die familienfreundlichere Teilzeitstelle entscheiden.
Renate Gautschy, Präsidentin der Gemeindeammännervereinigung, sieht in dieser Konstellation neben allen Nachteilen, auch Vorteile: «Frauen, für welche die Familie erste Priorität geniesst, finden mit der Teilzeitarbeit, welche viele Verwaltungen anbieten, eine ideale Kombination von Familie und Beruf.» Teilzeitmodellen in Führungspositionen steht sie aber eher skeptisch gegenüber.

Vieles spricht dafür, dass weiterhin Jahr für Jahr viele an der Fachhochschule sich das notwendige Wissen für Kaderpositionen erwerben, aber nur die wenigsten jemals dazu kommen, dieses Wissen auch umfassend anzuwenden.

Daniela Weibe,l Gemeindeschreiberin in Habsburg

Daniela Weibe,l Gemeindeschreiberin in Habsburg

Sandra Ardizzone

Daniela Weibel, Gemeindeschreiberin in Habsburg

Daniela Weibel ist Mutter von zwei Kindern im Alter von anderthalb und drei Jahren. Daneben ist sie Gemeindeschreiberin in Habsburg in einem Teilpensum von 70 Prozent. Habsburg ist ein kleines Dorf mit 420 Einwohnern und hat Sorgen, die andere Gmeinden plagen, zurzeit nicht. So gibt es in Habsburg momentan keinen einzigen Sozialfall zu betreuen.
Zudem sind verschiedene Verwaltungsbereiche ausgelagert worden, sodass auf der Gemeindekanzlei nur noch gerade zwei Angestellte im Teilpensum arbeiten.
Die Stelle in Habsburg passt ideal, sagt die 40-Jährige. Denn Teilzeitstellen für Gemeindeschreiber gibt es nur wenige. Für Habsburg hat sich Daniela Weibel entschieden, weil hier eine solche Teilzeitstelle als Gemeindeschreiberin frei war und sie das breite Aufgabengebiet gereizt hat; das hohe Pensum ist neben der Aufgabe als Familienfrau aber auch eine Herausforderung.
Auch Daniela Weibel, die in Villmergen wohnt, hat zuerst das KV absolviert und sich dann zur Gemeindeschreiberin weitergebildet. Sie hat auf verschiedenen Gemeindekanzleien gearbeitet und kommt zum gleichen Schluss: Jobsharing sei wünschenswert für Frauen, die so wie sie neben der Familie auch noch arbeiten möchten. Aber solche eine Stelle zu finden, sei gar nicht einfach, sagt sie. Und sie weiss, wovon sie spricht. (jm)