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Kanton Aargau
Regierungsrat Urs Hofmann hat am 31. Dezember 2020 seinen offiziell letzten Arbeitstag als Regierungsrat. Die AZ schaut mit dem 63-Jährigen anhand von Bildern mit Menschen auf seine zwölfjährige Amtszeit zurück.
1. Roland Brogli
Die beiden sehen aus wie zwei, die sich verstehen.
Urs Hofmann: Das war so. Natürlich gerieten auch Roland Brogli als Finanzdirektor und ich ab und zu in der Sache aneinander. Aber generell verstanden wir uns sehr gut, auch menschlich. Umso grösser war der Schock, als er wenige Monate nach seinem Rücktritt gestorben ist.
War es mit allen Regierungskollegen so gut?
Ja. Ich habe auch an meiner letzten Regierungsratssitzung meinen Kollegen für die gute Zusammenarbeit von Herzen gedankt. Zwar gab es harte Diskussionen, aber in den zwölf Jahren nie unschöne Rangeleien, geschweige denn Feindschaften.
Es gab das Intermezzo mit Franziska Roth.
Auch mit ihr hatte ich stets ein gutes, korrektes Verhältnis. Es war einfach eine unglückliche Liaison zwischen ihr und ihrem Amt.
So verabschiedet sich der Vorsteher des Departementes Volkswirtschaft und Inneres auf seiner Website:
«Ich durfte während fast zwölf Jahren unzähligen Menschen begegnen und gemeinsam mit meinen 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und vielen weiteren Personen aus dem ganzen Kanton und darüber hinaus Ideen entwickeln, Projekte realisieren, Erlasse erarbeiten und umsetzen. Immer mit dem Ziel, der Bevölkerung gute Dienstleistungen zu erbringen und die Schweiz, den Aargau und seine Gemeinden weiterzuentwickeln.
Allen, die mich in meiner Tätigkeit unterstützt haben und von denen ich in anregenden Gesprächen Inputs für meine Arbeit empfangen durfte, danke ich herzlich. Ich wünsche Ihnen alles Gute, viel Glück und Gesundheit und freue mich auf ein Wiedersehen.»
2. Susanne Hochuli
«Eine junge grüne Frau wird eher zum Ziel von Attacken»
Sie wurden gleichzeitig wie Susanne Hochuli in die Regierung gewählt und haben dann acht Jahre zusammen regiert. Hochuli war unter Dauerbeschuss von rechts. Sie dagegen eigentlich nie. Hat das mit der Person zu tun oder den Themen?
Sicher stand die Asylpolitik damals im Fokus und deshalb im Kreuzfeuer. Aber es ist eine Tatsache, dass eine junge grüne Frau eher zum Ziel von Attacken wird als ein Mann. Vor allem von Leuten, die auf die Person spielen, zum Teil auch unter der Gürtellinie.
Haben Sie oder ihre Regierungskollegen sie unterstützt, wenn sie angegriffen wurde?
Ja, selbstverständlich. Doch wenn es hart auf hart geht, muss man sein Dossier gegen aussen selbst vertreten. Susanne Hochuli war stark genug und hat das auch immer gut gemacht. Im Nachhinein anerkennen das auch ihre Kritiker.
Seit 18 Monaten gibt es keine Frau mehr im Regierungsrat. Empfinden Sie das als Manko?
Ja, das ist schade. Es fehlt die Vielfalt. Doch auch so hatten wir eine gute und offene Diskussionskultur.
Cédric Wermuth war mal ihr persönlicher Mitarbeiter, als Sie noch Nationalrat waren. Wie sehen Sie ihn?
Er ist ein genialer Typ, der weiss, in welcher Situation man was machen muss, um ans Ziel zu kommen. Er denkt sehr strategisch und ist taktisch versiert.
Was hat er von Ihnen gelernt?
Allzuviel musste er von mir nicht mehr lernen. Er war schon als Juso sehr gewieft (schmunzelt). Von mir mitbekommen hat er sicherlich, dass man auch als Sozialdemokrat verschiedene Rollen übernehmen muss: Als Regierungsrat oder Ständerat agiert man anders als ein Nationalrat oder Juso-Präsident, ohne deshalb seine Ideale zu verraten. Wermuth tritt heute als SP-Präsident auch nicht mehr gleich auf wie als Juso-Chef.
Die SP ist in letzter Zeit in der Kritik, weil sie Männer statt Frauen portiert.
Man muss die konkreten Konstellationen anschauen: Pascale Bruderer war acht Jahre Ständerätin. Da durfte auch wieder mal ein Mann antreten. Die Partei hat sich für Cédric Wermuth entschieden, weil sie überzeugt war, er repräsentiere die SP am besten.
Wermuth ist dann gescheitert und jetzt hatte die SP ihre bisher wohl beste Chance vertan, erstmals in ihrer Geschichte eine Frau in die Regierung zu bringen.
Es gab mehrere valable Kandidatinnen. Aber die meisten haben aus persönlichen Gründen abgesagt. Und in der Endauswahl haben die Delegierten Dieter Egli als den geeignetsten betrachtet. Einfach der SP die Schuld zu geben, dass keine Frau in der Regierung ist, wäre billig.
Die SP ist in einer schwierigen Phase. Sie verliert europaweit Wähleranteile. Wohin muss sich die Sozialdemokratie bewegen?
Ich glaube nicht, dass sie sich irgendwo anders hinbewegen muss. Solidarität und Sozialstaat als ein Standbein und die Ökologie als das zweite zeichnet uns aus.
Am zweiten Standbein sagen die Grünen...
...ja, es ist ein Handicap für uns, dass sie das Thema bereits im Namen tragen. Wichtig für den Erfolg sind auch Persönlichkeiten, die sich auf allen Ebenen engagieren und profilieren. Ziel muss es sein, vor allem auch jüngere Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Auch müssen wir deutlich machen, dass man nicht ideologisch denken muss, um SP zu wählen.
Sie haben den Landammann-Stammtisch erfunden, bei dem Sie sich in eine Beiz setzten und diskutierten. Was war der Auslöser für diese Idee?
Als Nationalrat lud ich viermal pro Jahr die Bevölkerung zu einem Apéro ein und erzählte über die vergangene Session. Da kamen stets viele Leute, zuweilen über 200. Am Landammann-Stammtisch berichtete ich nicht von der Regierungstätigkeit, sondern ging von Tisch zu Tisch und redete mit den Leuten über Alltagsfragen, über all das, was sie gerade beschäftigte.
Ging es bei diesen Stammtischen vor allem darum, sich im Volk zu zeigen?
Der Aargau hat über 200 Gemeinden. Da muss ein Regierungsrat raus in die Dörfer, wenn er den Kontakt pflegen will. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir Regierungsräte Leute sind wie du und ich. Darum habe ich am Landammann-Stammtisch auch immer alle mit Du angesprochen. Ich habe dabei die unterschiedlichsten Leute getroffen, die ihre Themen und Sorgen angebracht haben.
Kann man in einer Beiz, in der alle etwas von einem wollen, seriös auf ein Anliegen eines Bürgers eingehen?
Natürlich kann man das vor Ort nicht vertiefen, aber ein offenes Ohr haben schon. Hinweise auf Probleme mit einem Amt, auf ein fehlendes Trottoir oder ungerechte Steuern und vieles mehr. Solche Kritik nahm ich mit nach Aarau.
Was machten Sie dann mit dem fehlenden Trottoir?
Ich habe es meinem Kollegen, Baudirektor Stephan Attiger, mitgeteilt und er hat sich der Sache angenommen.
Wurden Ihnen solche Beizentouren nicht manchmal zu viel?
Ich habe das immer gern gemacht. Aber manchmal wurde es schon spät. Einmal wollte ich um zehn nach Hause, ich war müde. Aber dann kam noch der Damenturnverein. Kurz vor Mitternacht wollte ich dann definitiv aufbrechen. Doch der Wirt sagte: «Nichts da, meine Frau hat morgen Geburtstag, du bleibst noch.» (lacht) Es wurde dann halb zwei.
Werden Sie die vielen Auftritte als Regierungsrat vermissen oder sind Sie froh, dass es vorbei ist?
(schmunzelt) Wegen Corona musste ich zwangsläufig schon herunterfahren. Ich frage mich jetzt schon, wie habe ich das früher geschafft! Das Heimtückische ist: An den Abenden selbst merkte ich das gar nicht. Die Müdigkeit kam erst Ende Woche. Die Frau sagte ab und zu: «Pass auf!»
Wie haben Sie sich organisiert, damit Sie Ihre Frau überhaupt noch sahen?
Ich war schon vor 35 Jahren als Stadtrat am Wochenende mit Aktenstudium beschäftigt. Als Nationalrat war es neben meinem Beruf auch nicht besser. Und als Regierungsrat war das Programm dann noch dichter. Irgendwie fanden wir immer Zeit für uns und unsere Freunde. Wichtig waren auch die Ferien. Ich habe mit meinen drei Kindern auch regelmässig einzeln eine Reise gemacht. Das war sehr wertvoll, gerade weil ich sie im Alltag nicht so viel erlebt habe.
War Politik zu Hause Tabu?
Immer abstellen konnte ich nicht. Meine Familie merkte schon, wenn ich mal besonders gestresst war. Und mit meiner Frau habe ich natürlich auch das eine oder andere diskutiert. Aber es hatte Grenzen allein schon wegen des Amtsgeheimnisses.
Als neuer Justiz- und Polizeidirektor stand gleich der Mord am Au-pair-Mädchen Lucie im Mittelpunkt. Wie gingen Sie damit um?
Es war ein schwieriger Einstieg. Vor allem die Kontakte mit den Eltern des Opfers. Sie waren der Überzeugung, der Kanton sei mitverantwortlich für den Tod ihrer Tochter. Ich musste bei allem Verständnis aufzeigen, dass niemanden ein persönliches Verschulden traf, auch wenn unser Amt nicht so organisiert war, wie es hätte sein sollen. Nach mehreren Jahren fanden wir dann eine einvernehmliche Lösung. Noch heute schreibe ich Lucie's Eltern jedes Jahr eine Weihnachtskarte und es kommt stets eine emotional-positive Karte zurück.
Der andere grosse Kriminalfall in Ihrer Amtszeit war der Vierfachmord von Rupperswil. Was war anders für Sie im Vergleich zum Fall Lucie?
Der Druck, den Täter zu finden, war enorm. Die Ungewissheit, wer dahinterstecken könnte, war beklemmend. Der richtige Schock kam aber erst, als der Täter schon gefasst war und ich erfuhr, dass er eine zweite Tat geplant hatte. Ich habe gedacht: Wenn nochmals so etwas passiert wäre, hätte das die ganze Schweiz destabilisiert.
Wie meinen Sie das?
Die Leute hätten den Glauben daran verloren, dass der Staat sie schützen kann. Irgendwie war ich aber innerlich stets überzeugt, dass wir den Täter finden. Der enorme Wille und die Entschlossenheit von Polizei und Staatsanwaltschaft haben mir diese Gewissheit gegeben.
Als Regierungsrat trifft man auch sehr prominente Politiker. Wie haben Sie die Begegnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Erinnerung?
Merkel war auf ihrer Energiereise und besichtigte das Kraftwerk Rheinfelden. Der Landammann war als Begleitung von Bundesrat Moritz Leuenberger eingeladen. Doch er war verhindert, also kam ich als damaliger Landstatthalter zum Zug. Als Leuenberger auch noch ausfiel, weil wegen einer Erkältung seine Stimme versagte, war ich plötzlich der Höchstrangige der Schweizer Delegation. Ich bekam aus Bern das Referat und wurde gehalten, ja nichts Falsches zu sagen. Es war alles bis ins letzte Detail geplant: Auf der Brücke waren Fussabdrücke eingezeichnet, wo wir fürs Foto hinstehen mussten. Und da kam Merkel und begrüsste mich mit einem Schmunzeln: «Herr Landstatthalter.» Sie dachte wohl, was für ein lustiger Titel.
Sie haben auch mal Al Gore getroffen. Entwickelt sich da überhaupt ein ernsthaftes Gespräch oder werden vor allem Hände fürs Foto geschüttelt?
Diese Begegnung war speziell. Al Gore hielt am Paul Scherrer Institut ein Referat zu seinem berühmten Klima-Buch und -Film. Ich wollte gerne mit ihm darüber ein paar Worte reden. Aber das war nicht so einfach, weil Gore von seinen Sicherheitsleuten abgeschottet wurde. Er war richtiggehend in einem Nebenraum eingesperrt. Schliesslich kam er dann doch zu mir und wollte gar nicht mehr aufhören zu reden. Es hat ihm richtig Freude gemacht, wieder mal unter normale Leute zu kommen. Gore schien mir der einsamste Mensch der Welt.
Wie war Ihre Beziehung zur Aargauer Bundesrätin?
Wir kannten uns politisch schon sehr früh. Wir wurden gleichzeitig in den Grossen Rat und später in den Nationalrat gewählt. Ein ganz enges Verhältnis hatten wir nie, aber wir haben uns als Kollegen stets gut verstanden.
War es auch mal Ihr Traum, selbst Bundesrat zu werden?
Mein Traum, nein. Klar, wenn ich vor der Wahl gestanden hätte, Ja oder Nein zu sagen, hätte ich wohl nicht gesagt, das interessiert mich nicht. Aber ich glaube nicht, dass ich glücklicher geworden wäre als Bundesrat.
Die Beziehung zwischen Kantonsregierungen und Bundesrat ist zurzeit wegen Corona sehr angespannt. Versagt der stets hochgelobte Föderalismus gerade?
Was in den letzten Wochen abgelaufen ist, ist tatsächlich nicht gut. Bei Krisen wie einer Pandemie sind wir zu klein für föderalistische Lösungen. Ich bin kein Zentralist. Aber es ist kein Verrat am Föderalismus, wenn man eine einheitliche Lösung anstrebt, um Corona zu bekämpfen. Im Gegenteil: Wenn man den Föderalismus ernst nimmt, darf man ihn nicht als Mythos kultivieren, sondern muss ihn im Sinne der Sache einsetzen.