Atombefürworter wittern angesichts der ambitionierten CO2-Ziele Morgenluft. Magdalena Martullo-Blocher will die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern und sogar ein neues bauen. Im Aargau mit AKW-Standorten wird die Idee kontrovers aufgenommen.
SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher forderte letzte Woche im «Blick» eine Laufzeitverlängerung für AKW (60 statt 50 Jahre). Zudem sei ein Gaskombikraftwerk als Rückfallposition vorzubereiten, längerfristig komme auch die Kernkraft wieder in Betracht. Dies betrifft den Aargau mit den drei AKW natürlich stark.
Was sagen Aargauer Bundesparlamentarier dazu, die Mitglied der Energiekommission sind?
Für FDP-Nationalrat Matthias Jauslin gilt: Ein AKW soll man so lange betreiben dürfen, als es sicher ist, was immer wieder Investitionen bedinge. Diesen Entscheid müssten die Investoren auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht fällen. Eine Laufzeitverlängerung um fünf oder zehn Jahre sei eine Option, gerade für Gösgen und Leibstadt.
Aber auch Jauslin sieht ein Problem. Es gelte, die Netzstabilität zu gewährleisten: «Die Schweiz kann hier niemals autark agieren, Stromim- und -export wechseln sogar im Sommer ständig ab. Damit die Netzgesellschaft handlungsfähig bleibt, brauchen wir ein EU-Stromabkommen.»
Ein oder auch zwei Gaskombikraftwerke als strategische Reserve ist für ihn schon mittelfristig denkbar: «Die dürften natürlich nur kurzzeitig in Betrieb sein und so die Netzstabilität sichern.» Polnischer Kohlenstrom ist keine Alternative, so Jauslin.
Ein neues AKW in fernerer Zukunft sieht er nicht: «Die Akzeptanz fehlt, zudem ist die neue Reaktorgeneration, von der man schon so lange träumt, weder ausgereift noch marktfähig. » Im Vordergrund steht für ihn die erneuerbare Energie: «Solar, Wind, Geothermie für Wärmegewinnung, höhere Staumauern, wir brauchen alles. Da müssen auch die Umweltverbände endlich Hand bieten.»
Gar nichts von einer Laufzeitverlängerung hält Nationalrätin Gabriela Suter (SP): «So würden wir die Energiewende noch mehr hinausschieben.» Störfälle nähmen bei alten AKW zu, das ungeplante Abschalten mache die Stromversorgung unsicher. Es gäbe weiteren Atommüll und weltweit keine Lagerlösung. Zudem seien die AKW nicht für 60 Jahre ausgelegt und würden zum immer grösseren Sicherheitsrisiko. Sie fordert einen Ausstiegsplan mit Abschaltdaten («je früher desto besser»).
Auch Suter will Photovoltaik, Wind, Wasser und alle Erneuerbaren einsetzen. Da müsse man auch über höhere Staumauern reden. Und wie die Umweltverbände ins Boot holen? Man müsse ja nicht die letzten kleinen Flüsse verbauen, sondern dort beginnen, wo Eingriffe in die Umwelt tolerierbar seien, antwortet Suter.
Ein Gaskombikraftwerk (möglichst mit in Gas umgewandelter Sonnen- oder Windenergie und mit Biogas) für eine Übergangsphase als Backup-System sei zu prüfen. Ein AKW--Comeback sei ausgeschlossen: «Zu teuer, zu risikoreich, viel zu teurer Strom. Niemand in der Schweiz würde da investieren.
Das Geld brauchen wir für die Erneuerbaren, vorab für einen massiven Photovoltaik-Ausbau. Damit kommen wir schneller, risikoärmer und mit weniger staatlichen Mitteln zum Ziel.»
Ganz anders sieht dies Ständerat Hansjörg Knecht (SVP): «Da bin ich mit Magdalena Martullo-Blocher völlig einverstanden.» Er ist gegenüber der Energiestrategie ohnehin sehr kritisch eingestellt und hat diese seinerzeit auch bekämpft. Für ihn «macht eine fixe Laufzeitbeschränkung für ein KKW aber keinen Sinn».
Entscheidend sei doch, ob und dass die Sicherheit gewährleistet ist. Er glaubt, im Departement von Simonetta Sommaruga sei man angesichts eines drohenden Versorgungsengpasses fast schon froh, einen möglichst langen Weiterbetrieb der bestehenden Werke.
Wenn es erforderlich ist, unterstützt Knecht auch ein Gaskombikraftwerk, um Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten: «Stromausfälle können teuer werden und enormen Schaden verursachen, das ist unbedingt zu verhindern. Selbst ein Unterbruch von wenigen Sekunden kostet allein unsere Firma mehrere 100 Franken.»
Dass in den nächsten 10, 20 Jahren kein KKW gebaut wird, ist Knecht klar, zumal sich heute kein Investor fände, «doch die Option müssen wir offen halten, die Kernenergie ist für mich keineswegs abgeschrieben».