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Angehörige der Opfer von 1970 sind empört über das Geheimabkommen der Schweiz mit der PLO. FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger verlangt, dass der Fall aufgearbeitet wird.
«Ich kann mich gut an das Attentat von Würenlingen und auch an die Entführung einer Swissair-Maschine nach Zerqa in Jordanien von 1970 erinnern», sagt Corina
Eichenberger.
Die heutige FDP-Nationalrätin war damals 15 Jahre alt und erinnert sich: «Es war für mich als Jugendliche ein Schock, dass die Schweiz von diesem Terror betroffen war, und ich hatte Angst, dass es weitere Anschläge geben könnte.»
Diese blieben allerdings aus – weil der Bundesrat damals mit der palästinensischen PLO ein Stillhalteabkommen schloss, wie letzte Woche bekannt wurde.
Laut dem ehemaligen SP-Nationalrat Jean Ziegler (81) beinhaltete die Vereinbarung unter anderem, dass die Attentäter hinter dem Flugzeugabsturz von Würenlingen nicht zur Rechenschaft gezogen würden.
Die Angehörigen der Opfer sind empört. «Man kann doch nicht einen Massenmord in die Waagschale werfen, nur um einen Deal zu erhalten», sagt René Spahr (53) im «SonntagsBlick».
Seine Tante verlor beim Absturz ihr Leben. Über Jahre versuchte der Historiker herauszufinden, warum die Täter nie belangt wurden. «Nun wird immer offensichtlicher: Die Hinterbliebenen wurden in die Irre geführt.»
Ruedi Berlinger (53) verlor durch den Anschlag, bei dem 47 Menschen starben, seinen Vater. Karl Berlinger war Pilot der Swissair-Coronado, die im Februar 1970 in Würenlingen in ein Waldstück abstürzte. Sein Sohn ist froh, dass die Wahrheit nun ans Licht kommt. Der Bund müsse den Fall neu aufrollen, fordert Berlinger. «Für die Angehörigen ist die Geschichte erst abgeschlossen, wenn alle Fragen restlos beantwortet sind», sagt er im «SonntagsBlick». Doch die Bundesanwaltschaft winkt ab. Trotz den Enthüllungen in einem «NZZ»-Artikel vom letzten Mittwoch lägen nicht genug neue Beweise oder Tatsachen vor, um das Verfahren wieder aufzunehmen.
Damit will sich Corina Eichenberger nicht zufrieden geben. «Der Bundesrat hat angekündigt, dass die Hintergründe untersucht werden», sagt die FDP-Nationalrätin im «SonntagsBlick». Auch das Parlament müsse nun aktiv werden, findet die Sicherheitspolitikerin, die in der Geschäftsprüfungskommission sitzt. Eichenberger kündigt an, diese Woche in einer Sitzung der Kommission einen Antrag einzureichen.
Auf eine Nachfrage der az sagt sie: «Es geht mir einerseits um die Hinterbliebenen, diese verdienen eine ehrliche und offene Information, warum die Attentäter, die ihre Angehörigen auf dem Gewissen haben, nie zur Rechenschaft gezogen wurden.» Andererseits findet Eichenberger das damalige Vorgehen der Schweiz rechtsstaatlich bedenklich: «Es ist sehr fragwürdig, mit einer Organisation wie der PLO, die damals als Terrorgruppe galt, ein separates Abkommen zu treffen.»
Eichenberger hofft nun, dass ihr Anliegen in der Geschäftsprüfungskommission eine Mehrheit findet. «Wenn mein Antrag gutgeheissen wird, könnte ich mir vorstellen, dass der Bundesrat die damaligen Vorgänge nochmals genau untersucht», sagt sie. Denkbar wäre für Eichenberger auch, dass eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission eingesetzt wird. «Möglich wäre auch eine Historikerkommission, die Licht ins Dunkel bringen könnte.»
Dass die FDP-Nationalrätin im Zusammenhang mit dem Abkommen der Schweiz mit der PLO nun politisch aktiv wird, hat noch einen anderen Hintergrund.
Eichenberger ist nicht nur Sicherheitspolitikerin, sondern seit 2012 auch Zentralpräsidentin der Gesellschaft Schweiz - Israel.
Und der Terrorakt von Würenlingen war gar nicht gegen die Schweiz oder die Swissair gerichtet. Die in München aufgegebene Paketbombe sollte eine Maschine der israelischen Gesellschaft El Al zum Absturz bringen. Weil sie kurzfristig nach Köln umgeleitet wurde, gelangte die Postsendung via Zürich auf den Swissair-Flug nach Tel Aviv.