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Kanton Aargau
Weil die Beiträge von Bewohnern und Krankenkassen plafoniert sind, gehen die explosionsartigen Kostensteigerungen im Heimwesen voll zulasten der Gemeinden. Das müsse geändert werden, fordert Gemeindeammänner-Präsidentin Renate Gautschy.
Die az hat vor einigen Tagen in einem Artikel die sechs grössten «Kostentreiber» beim Kanton vorgestellt. Solche Kostentreiber gebe es bei den Gemeinden genauso, sagt Renate Gautschy, Präsidentin der Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau (GAV).
Der grösste betrifft die Pflegefinanzierung. Bekanntlich müssen im Aargau die Gemeinden die sogenannten Restkosten bei der Pflege bezahlen. Gemeint ist damit, dass sie nach Abzug der Eigenbeteiligung der Versicherten und der Krankenkassenbeiträge sämtliche verbleibenden Kosten tragen. Da die Beiträge der Versicherten und der Kassen plafoniert sind, gehen alle Kostensteigerungen voll zulasten der Gemeinden. Um einen Ausgleich zu schaffen, fordert Gautschy jetzt vom Bund, die Krankenkassenbeiträge im Gesetz an die Pflegekostenentwicklung anzubinden.
2013 kostete die Pflegefinanzierung die Aargauer Gemeinden 56 Millionen Franken. Bis 2019 sollen es gemäss Erwartung des Kantons bereits 78 Millionen Franken sein. Dies entspricht einer Steigerung von 39 Prozent oder – in absoluten Zahlen – von 22 Millionen Franken in sechs Jahren.
Ob diese Kostensteigerung so eintritt, ist allerdings fraglich. Leider dürften die Prognosen nicht nach unten, sondern nach oben übertroffen werden. In Gontenschwil, der Gemeinde, in der Gautschy Gemeindeammann ist, haben sich diese Kosten allein in den letzten beiden Jahren verdoppelt. Steigerungen verzeichnen auch andere Gemeinden, wenn auch nicht in diesem Ausmass. Das Gesundheitsobservatorium Obsan erwartet aber bis 2030 gar schweizweit eine Verdoppelung der Pflegekosten.
Das hat keineswegs nur mit der erfreulicherweise steigenden Lebenserwartung der Menschen zu tun, so Martin Hitz, Geschäftsführer der GAV. Dies und auch die Pflegetage könne man natürlich nicht beeinflussen. Hitz und Gautschy führen die Steigerung im Aargau aber auch auf immer mehr Qualitätsvorgaben des Kantons für Pflegeheime zurück.
Hitz hat wenig Verständnis dafür, dass das Gesundheitsdepartement die Zahl der nötigen Pflegeplätze jahrelang massiv überschätzt und bei den Gemeinden enorm Druck gemacht habe, diese entsprechend diesen Zahlen zu erstellen. Diese Plätze wurden nun geschaffen. Doch die Menschen wollen verständlicherweise so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen.
Das eidgenössische Parlament hat in der Sommersession die Unternehmenssteuerreform III (USR III) verabschiedet. Was kostet dies die Gemeinden? Das wollte die SP-Grossratsfraktion mit einem Vorstoss in Erfahrung bringen. Sollte der Kanton den Gewinnsteuersatz um 5, 10 oder 15 Prozent senken müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben, hätten die Gemeinden durchschnittlich 0,5, 1,0 bzw. 1,5 Prozent weniger Steuereinnahmen, rechnet die Regierung jetzt vor. Sie gibt zu bedenken, dass die Bedeutung der Firmen-Steuereinnahmen von Gemeinde zu Gemeinde variiert. Eine Gewinnsteuersatz-Senkung um 15 Prozent würde den innerkantonalen Finanzausgleich um sechs Millionen Franken jährlich belasten. Um dies auszugleichen, müsste man die Steuerzuschläge erhöhen, so die Regierung. (MKU)
Aber war nicht immer die Rede von langen Wartelisten? Hitz: «Diese hätte man mehr hinterfragen müssen. Die Realität ist, dass heute manche Pflegeheime weitherum telefonieren müssen, um freie Zimmer vergeben zu können.» Diese Entwicklung ist für Renate Gautschy ein Grund mehr, Berechnungen zu hinterfragen und genau abzuklären, bevor man handelt. «Sonst kann es für die Gemeinden, die als letzte im Umzug die Kosten nicht einfach nach unten weiterreichen können, sehr teuer werden.»
Weitere Kostensteigerungen erkennt Gautschy bei den Sozialdiensten der Gemeinden, die laufend ausgebaut werden müssen. Einerseits durch den Systemwechsel im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht und andererseits auch als Folge der Zunahme von Asylsuchenden (vorläufig Aufgenommene). Sie stellt fest, dass eine konstante Zunahme der Ansprüche an die Sozialdienste besteht. Dementsprechend steigen auch hier die Ausgaben massiv. Der Aargau lebt grösstenteils das integrative Schulsystem – neben einigen Kleinklassen – hat heute geführte Schulen, Schulsozialarbeiter, Schüler früherer Kleinklassen sind integriert, es wird viel investiert. «Und trotzdem», so Gautschy, «steigen die Kosten für Sonderschulen und Heime massiv. Was machen wir falsch?» Als mögliche Alternative zu Heimen denkt sie laut darüber nach, ob man bei demselben Qualitätsstandard mit mehr Pflegefamilien vor Ort die Kosten besser im Griff behalten könnte.
Weitere Kosten kommen mit dem Asylbereich auf Gemeinden zu, so Gautschy, was auch Auswirkungen auf die Gesundheitskosten habe.
Immerhin haben die Gemeinden die Kosten für die Regionalpolizei, für Feuerwehr, Zivilschutz, Spitex und Regionalverkehr im Griff. Insgesamt sei nicht zu wenig Geld da, um die Aufgaben zu erfüllen, resümiert Gautschy. Sie ist überzeugt, dass sich der Aargau zu viele Parallelstrukturen leistet, und dass unnötiger Perfektionismus viel Geld kostet. Gautschy: «Früher hatten die Sicherheitsanforderungen der BfU auf einem A4-Blatt Platz. Heute füllen sie einen dicken Ordner.» Sie fragt: «Wie lange geht es noch, bis wir den Dorfbach aus Sicherheitsgründen einhagen oder vergittern müssen?»
Der Aargau hat heute über 650 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Regierung erwartet weiteres Wachstum. Ihr Ziel ist, durch bessere Rahmenbedingungen mehr gut Qualifizierte und Vermögende anzulocken. Wenn dies gelingt, verbessert sich das Steuersubstrat, so die Überlegung. Martin Hitz sagt dazu ernüchtert: «Dieser Fokus ist gut. Tatsächlich wachsen wir jedes Jahr um 6000 bis 9000 Personen. Es kommen mehr Leute, aber natürlich nicht nur vermögende oder gut verdienende Steuerzahler.» Deshalb habe sich die steuerliche Ertragskraft des Aargaus nicht wie erhofft verbessert, ergänzt Gautschy: «Aber die Gemeinden müssen trotzdem ihre Infrastruktur unterhalten und ausbauen, was sehr viel kostet.» Aus ihren Beobachtungen leitet sie folgende Forderung ab: «Wir brauchen kein forciertes, sondern ein natürliches, wirtschafts- und sozialverträgliches Wachstum.»
Man dürfe den Fokus zudem nicht nur auf die Zuwanderung richten, kritisiert die GAV-Präsidentin: «Im Aargau gibt es immer mehr Arbeitslose, die keine Top-Ausbildung haben und nur schwer Arbeit finden. Die dürfen nicht auf der Strecke bleiben, wir müssen den Fokus auf alle richten, auch auf sie.» Sie fordert eine Auslegeordnung zum Thema Wachstum, zur Frage, welches Wachstum der Aargau will, und ob und wie man das Wachstum beeinflussen will und kann. Das jetzige, herausfordernde Umfeld sei keine Basis für einen weiteren Angebotsausbau, ist Gautschy überzeugt: «Jetzt gilt es, zu sanieren und zu stabilisieren. Und wir brauchen eine Aufgabenüberprüfung.»
Gautschy und Hitz sind überzeugt, dass man im Gesetzgebungsprozess noch sorgfältiger fragen muss, was man genau will, ob es nötig ist, welche Auswirkungen es hat. Gautschy: «Wenn Aufwand und Ertrag nicht stimmen, müssen wir bereit sein, halt auch mal auf etwas zu verzichten.»
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