Jörg Baumanns Trouvaillen
Von Döbeli über Stäger bis Wiederkehr: Im Tal der toten und vergessenen Freiämter Dichter

Ein literarischer Rundgang durch das 19. Jahrhundert: Von Marie Döbeli über den Mediziner Robert Stäger bis zu Gustav Wiederkehr. Sie alle stammten aus dem Freiamt und waren auf die eine oder andere Art und Weise schriftstellerisch tätig. Und doch sind sie heute nur noch wenigen ein Begriff.

Jörg Baumann
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Aus dem Stand vermögen alte Leute das Gedicht «D Lisebeth goht uf Zöri» von Robert Stäger zu zitieren. Aber zwei Generationen hinter Robert Stäger wird es finster. Denn wer kennt schon Marie Döbeli, den Dichter-Arzt Robert Stäger, gar den Sprachwissenschafter Leo Andreas Stäger oder den dichtenden Lehrer Gustav Wiederkehr? Diese sind zwar vergessen, aber noch immer sind einige ihrer Werke im antiquarischen Buchhandel erhältlich.

Das Dichterherz von Sarmenstorf

Die Sarmenstorferin Marie Döbeli wurde am 23. Februar 1868 als Tochter des Blumenmachers Jakob Döbeli geboren. Sie besuchte die Gemeindeschule und einige Zeit das Töchterinstitut Heilig-Kreuz in Cham und besorgte den Haushalt.

Die Sarmenstorferin Marie Döbeli wurde am 23. Februar 1868 als Tochter des Blumenmachers Jakob Döbeli geboren. Sie besuchte die Gemeindeschule und einige Zeit das Töchterinstitut Heilig-Kreuz in Cham und besorgte den Haushalt.

zvg

Eine junge Frau vom Land ohne höhere Bildung wird Redaktorin einer Frauenzeitschrift. Marie Döbeli aus Sarmenstorf schaffte das unmöglich Scheinende. Marie Döbeli wurde am 23. Februar 1868 als Tochter des Blumenmachers Jakob Döbeli geboren.

Sie besuchte die Gemeindeschule und einige Zeit das Töchterinstitut Heilig-Kreuz in Cham und besorgte den Haushalt. Unter den Pseudonym «Gretchen» oder «Marie vom Lindenberg» veröffentlichte sie im «Wohler Anzeiger» die ersten frühen Gedichte. 1896 erschien ihr erstes und einziges Gedichtbändchen, «Schlichte Weisen», das ihren Weltschmerz ausdrückte, der sie ihr kurzes Leben begleitete.

Sie erhielt dafür gute Kritiken. Rastlos war manchmal ihr Tonfall: «Die Lettern schreibt mit Feuerspur/Das Heimweh, das im Innern frisst/Dass eines Weibes Heimat nur/Die Liebe – nur die Liebe ist.»

1896 trat sie als Mitredaktorin der bekannten Emma Corrodi-Stahl in die Redaktion der Zeitschrift «Schweizer Frauenheim» in Zürich ein und besuchte berufsbegleitend literarhistorische Kurse an der Hochschule. Einige Novellen erschienen in dieser Zeit in verschiedenen Zeitschriften.

1897 heiratete sie den Arzt Dr. Josef Huber, Bürger von Besenbüren, in Grindelwald. Die Ehe war kinderlos, ihr Leben wie ihre Dichtung zwischen Glück und Unglück schwebend. 1900 erlitt Marie Döbeli einen Hirnschlag, an dem sie starb. Ihre letzten Projekte, ein «Wegweiser für die kluge und einsichtige Schweizerin» und eine neue Frauenzeitung mit dem Namen «Edelweiss», blieben deshalb Stückwerk.

Arzt, Insektenkundler und Künstler

Von ganz anderem Holz war der Arzt, Schriftsteller, Maler und Zeichner Dr. med. Robert Stäger (1867–1962) geschnitzt. Als gebürtiger Villmerger liess er sich als Arzt in Bern nieder und zog nach der Pensionierung nach Lugano. Robert Stäger wurde dem naturwissenschaftlichen Publikum besonders als Insektenkundler bekannt.

Schon als junger Arzt pirschte er in seinen Mussestunden mit dem Schmetterlingsnetz und der Botanisiertrommel verträumten Bachufern entlang oder legte im Gebirge Steine um, wo er oft Ameisenkolonien mitten in ihrer Betriebsamkeit überraschte.

Stäger publizierte seine Studien in Fachzeitschriften und trug sie an Vorträgen bei der Berner und Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft und in mehreren Büchern vor. «Was Blumen erzählen», heisst eines seiner frühen Bücher, andere «Blumenstudien», «Die Baukunst der Insekten» oder «Erlebnisse mit Ameisen».

Die Baukunst der Insekten – eines der Werke von Robert Stäger.

Die Baukunst der Insekten – eines der Werke von Robert Stäger.

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Literarisch äusserte Stäger sich in den Büchern «Der Spiegel: Parabeln und Betrachtungen» und «Stimmen der Stille» und in Novellen, Feuilletons, Gedichten und Erzählungen. Als Student begann Robert Stäger zu malen. Dann legte er den Pinsel jahrelang auf die Seite. Im Pensionsalter trat er vermehrt als Maler hervor und beteiligte sich an schweizerischen und Pariser Ausstellungen. Robert Stäger starb vor exakt 60 Jahren am 11. Dezember 1962 in Lugano.

Ein Villmerger in Amerika verehrte General Grant

In den USA machte der Sprachwissenschafter Dr. phil. Leo Andreas Stäger Karriere. Stäger wurde am 15. April 1855 in Villmergen geboren. Er war ein Cousin von Fritz Stäger-Vock, Gründer der Färberei Stäger in Villmergen, und heiratete 1883 in New York Marie Bjerring. An den eigenen Schulen in St.Louis und Philadelphia, dann als Professor am Brooklyn Polytechnic Institute in New York, unterrichtete er Sprachen.

Leo Andreas Stäger war auf der einen Seite Fachautor. Er schrieb Lehrbücher zum Erlernen der deutschen Sprache nach der «natürlichen Methode» und über die vereinfachte Stenografie, auf das Englische übertragen. Aber Stäger war auch Poet. Gedichte wie «Unter der Linde», «S Schwyzerlied», «Für is Kinderzimmer» oder «Mein Gang zur Kirche» zeugen davon.

Die Vaterlandsliebe zur zweiten Heimat drückte er im Gedicht «General Grants Liebe» aus. Der Verehrte war Ulysses S. Grant, Oberbefehlshaber des US-Heeres im amerikanischen Bürgerkrieg und 18. US-Präsident (1869-1877). Stäger hatte aber auch eine Schwäche für den deutschen Kaiser Friedrich III., dem er ebenfalls ein Poem widmete. In seinen letzten Jahren war Stäger als Übersetzer für die Union Dime Savings Bank am Broadway in New York tätig. Er starb am 10. September 1894.

Eine starke Stütze der Volksbibliothek Wohlen

1926 erschien im Verlag Kasimir Meyer's Söhne in Wohlen die kulturgeschichtliche Novelle «Hildegardis» auf die Heilsbringerin Hildegard von Bingen. Verfasser war der Lehrer Gustav Wiederkehr (1870–1956), der in Wohlen unterrichtete. Wiederkehr war mit seiner Feder zur Stelle, wenn es festlich werden sollte: so auch an der Freiämter Ausstellung 1946, für die er das Festspiel «Segen der Arbeit» verfasste.

Für die Jahresschrift «Unsere Heimat» der Historischen Gesellschaft schrieb er mehrere heimatkundliche Beiträge. Jahrzehntelang arbeitete er für die Volksbibliothek Wohlen, nach dem Rücktritt vom Lehramt praktisch hauptamtlich. Wiederkehr versorgte die Bibliothek ständig mit neuer, guter Literatur, vor allem von Schweizer Autoren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab Gustav Wiederkehr sein Amt ab. Am 1. März 1956 starb der bibliophile Lehrer im Alter von 86 Jahren.