Künstler Simon Sidler aus Oberflachs gewährt im Zimmermannhaus Brugg eine Woche lang Einblick in seine Arbeit. Er sagt, was es mit den Ikarus-Figuren aus Keramik auf sich hat, die zu sehen sein werden.
Für Künstler Simon Sidler aus Oberflachs ist es neues Terrain, ein Experiment: Mit seinem Atelier zieht er für eine Woche ins Zimmermannhaus Brugg, gibt Einblick in sein Schaffen, präsentiert gleichzeitig seine räumliche Inszenierung zum Mythos Ikarus.
Insgesamt 17 Figuren aus Keramik sind entstanden im Lauf der Coronapandemie. Im Lockdown musste der 49-Jährige seine Praxis für Osteopathie in Brugg schliessen. In dieser Krise, dieser Ohnmacht, beschäftigte er sich mit dem Ikarus-Mythos, «mit unserer mittleren Flughöhe», wie er sagt.
«Wenn diese verloren geht, dann wird es zum Absturz kommen.»
Sidler interpretiert und inszeniert den Mythos analog einer Bildergeschichte: der Ikarus, der abhebt, der fliegt, der scheitert – stellvertretend für einen einzelnen Menschen oder die Gesellschaft –, samt einer Kugel, die stehen kann für die Sonne, aber auch für ein Virus, für einen Krieg.
Zu Beginn habe er sich keine Gedanken gemacht über die Dimension seiner Inszenierung, sagt er. Als er feststellte, dass dafür die entsprechenden, grosszügigen Räumlichkeiten vorhanden sein müssen, gelangte er an Andrea Gsell, Leiterin des Zimmermannhaus Brugg – und rannte offene Türen ein. Denn diese trug die Idee mit sich herum für ein neues Format: Unter dem Titel «Zimmerei» öffnet das Zimmermannhaus seine Räume in loser Folge temporär einer oder einem lokalen Kunstschaffenden.
Er sei glücklich, diese Plattform zu erhalten in einem professionellen Umfeld, sagt Sidler. Die Idee sei es, mit dem Publikum in Kontakt zu kommen. Hoffentlich könne das neue Format, fügt er an, ein Bindeglied darstellen zwischen der sogenannt etablierten Kunst und Personen, die nicht zu diesem System gehören, die aber kreativ tätig sind. Vielleicht könne es auch ein Türöffner sein für all diejenigen, die sonst keinen Zugang zu moderner Kunst haben.
Die Besucherinnen und Besucher seien eingeladen, sich mit dem Mythos Ikarus auseinanderzusetzen, sich Gedanken über die eigene Flughöhe zu machen, hält Sidler fest. Er selber wird anwesend sein, am Tisch mit Ton arbeiten. Er habe Null Übung darin, wie es sei, wenn ihm jemand bei dieser Tätigkeit über die Schulter schaue, räumt er ein. Grosse Nervosität verspüre er aber nicht. Er sei zufrieden, wie seine Inszenierung wirke, sei überzeugt, dass es funktioniere.
Bei der Installation des rund neun Meter langen Werks erhielt er übrigens tatkräftige Unterstützung vom Künstlerkollegen Remy Schärer aus Villnachern. Der Eisenplastiker konstruierte die Aufhängung – genau wie die Herstellung der Keramikfiguren ein aufwendiges Unterfangen. «Es brauchte viele Überlegungen und Zwischenschritte.»
Simon Sidler ist in Seengen aufgewachsen, spielte als Jugendlicher mit dem Gedanken, ein Kunststudium zu absolvieren. Der Nachbar seiner Grosseltern, Künstler Hugo Suter, zeigte ihm allerdings die Schattenseiten des Künstlerdaseins auf. Sidler nahm eine Lehre als Fotofachangestellter in Angriff, stellte fest, dass ihm das gestalterische Arbeiten gefällt. Aber erst Jahre später, als die drei Kinder grösser wurden und er mehr Freiraum erhielt, begann er sich künstlerisch zu betätigen.
Seit rund 20 Jahren wohnt er in Oberflachs, hat sein Atelier eingerichtet im Erdgeschoss seines idyllisch gelegenen Hauses, einer ehemaligen Schuhmacherwerkstatt. Am Fenster steht die Werkbank, in der Ecke der Brennofen. Auf den Holzregalen an den Wänden befinden sich die vorwiegend menschlichen Keramik-Figuren in unterschiedlichen Grössen und Farben. Für das Gespräch stehen ein knallroter und knallgelber Klappstuhl zur Verfügung. Sidler ist eine aufmerksame und angenehme Auskunftsperson, ruhig, überlegt und offen.
Rund zwei Tage pro Woche nimmt er sich Zeit für seine künstlerische Tätigkeit. Er habe, sagt er über sich selbst, einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Fasziniert ist er vom weichen Material Ton, das sich formen, immer wieder verändern lasse – so lange, bis es passe, bis es stimmig sei. Er versuche, die Natürlichkeit des Materials zu erhalten, habe eher Mühe mit glatt polierten Oberflächen, finde es vielmehr spannend, wenn Strukturen, die Handschrift des Künstlers zu erkennen seien, vielleicht sogar einmal eine Werkzeugspur. Ihm gefalle es, wenn ein Werk beim Betrachter etwas auslöse, ihn anspreche, ihn berühre.
Als künstlerische Vorbilder bezeichnet er die Bildhauerin Camille Claudel – «die finde ich super». Aber auch der Maler und Bildhauer Edgar Degas oder der Bildhauer und Zeichner Henry Moore seien genial.
Auftragsarbeiten hat Sidler bisher abgelehnt, mit zwei Ausnahmen. Gestaltet hat er den Preis für den «Brugger des Jahres», der Anfang März verliehen wurde: Die Bronzeskulptur zeigt eine Frau und ein Mann, die Schulter an Schulter zusammenstehen, stolz und vorwärtsgewandt, fest verwurzelt auf einem Sockel. Es sei ein Werk, das keine zusätzlichen Erklärungen brauche, das über mehrere Monate nach diversen Skizzen entstanden sei, sagt Sidler.
Ebenfalls hat er eine Skulptur geschaffen für Nationalratspräsidentin Irène Kälin von den Grünen, die ebenfalls in Oberflachs wohnt. Der Öffentlichkeit präsentiert wird das Werk an der offiziellen Wahlfeier, die – coronabedingt – auf den Mittwoch, 1. Juni verschoben wurde. Verwendet hat Sidler Ton aus der Tongrube Eriwis in Schinznach, den er vor einiger Zeit aus diesem Naturschutzgebiet gewinnen durfte.
Im Oktober wird er dann ausstellen bei Eisenplastiker Daniel Schwarz in Effingen. Auch wenn sein Name derzeit erfreulich präsent sei – «das ist eine glückliche Fügung»: Seinem Beruf als Osteopath will Simon Sidler weiter mit Elan nachgehen. Er möge seine Unabhängigkeit als Künstler, könne sich Zeit nehmen zum Reflektieren, habe keinen Druck, erfolgreich sein zu müssen.
«Zimmerei» im Zimmermannhaus Brugg; Eröffnung Freitag, 1. April, 18–21 Uhr; Laufzeit bis Sonntag, 10. April: Mi 14.30–18 Uhr, Do/Fr 16–19.30 Uhr, Sa/So 12–16 Uhr.